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SACHBUCH | 18.12.2024

The Museum of Wes Anderson

Eine ein fast surreal fantasievolles Motiv, perfekt abgestimmte Farben und eine symmetrische Bildkomposition. Ich beschreibe hier nicht etwa ein Gemälde oder eine Kunstinstallation, sondern eine Szene aus einem Wes Anderson Film. Im Buch „The Museum of Wes Anderson“ können Fans des Filmemachers seine Kreationen nun in einer imaginären Ausstellung neu erleben.

von Laura Sternberg


© LANDMARK MEDIA Alamy Stock Photo

Ein fast surreal fantasievolles Motiv, perfekt abgestimmte Farben und eine symmetrische Bildkomposition. Es klingt nach einem Werk aus einem Museum, aber ich beschreibe hier nicht etwa ein Gemälde oder eine Kunstinstallation, sondern eine Szene, wie sie zuhauf in Wes Andersons Filmen zu finden sind. Dass auch diese Kreationen, die meist nur flüchtig auf einer Leinwand oder auf den heimischen Bildschirmen zu sehen sind, ihren Platz in den Kunsthallen dieser Welt verdient haben, fanden Filmemacher Johan Chiarmonte und die Art-Direktorin Camille Mathieu. Deshalb haben sie mit ihrem Buch „The Museum of Wes Anderson“ eine imaginäre Ausstellung erschaffen, in der sich Leser und Leserinnen auf einen Rundgang durch Wes Anderson farbenfrohe Welten begeben, bekannte Charaktere näher kennenlernen und in Werke, die seine Filme inspirierten, eintauchen können.

Bevor wir jedoch in die Details dieses Werkes eintauchen, lohnt sich ein Blick auf den Mann, dessen kreatives Schaffen all dem zu Grunde liegt. Geboren 1969 in Houston, Texas, wuchs Wes Anderson in einer intellektuellen Familie auf, die seine kreative Ader schon früh förderte. Mit Werken wie „The Royal Tenenbaums“ (2001), „The Life Aquatic with Steve Zissou“ (2004) oder „The Grand Budapest Hotel“ (2014) erlangte er internationalen Ruhm, mehrere Oscar-Nominierungen und sogar einen Oscar-Sieg für seinen Kurzfilm „The Wonderful Story of Henry Sugar“. Der Regisseur ist berühmt für seinen unverkennbaren Stil: Symmetrie, Pastelltöne, minutiöse Kompositionen und absurde Figuren. Anderson erschafft Räume und Szenarien, die surreal erscheinen und auf menschlicher Ebene doch zutiefst berühren. Seine Filme fühlen sich an wie Erinnerungen an Träume, die man als Kind hatte, während man nachts im Auto auf der Rückbank nach einem langen und aufregenden Tag eingeschlafen ist.

Das kreative Layout des Buches selbst folgt Andersons visueller Philosophie und bereits ab der ersten Seite, werden Leser und Leserinnen in ein ästhetisches Labyrinth voller Symmetrie, handgezeichneter Illustrationen und zahlreiche Fotos gezogen. Das Inhaltsverzeichnis ist gestaltet wie ein Museumsführer, bei dem in zahlreichen Räumen unterschiedliche Aspekte der Werke des Filmemachers erkundet werden können.


© Eric Vandeville – Abaca Press MEDIA Alamy Stock Photo

Von einer Garderobe, in der ikonische Kostüme wie Margot Tenenbaums Pelzmantel unter die Lupe genommen werden, über eine Porträt Galerie, in der unter anderem Steve Zissou oder der fantastische Mr. Fox anzutreffen sind, bis hin zu einer Küche, in der sogar ein Gericht aus dem Café Sans Blague aus „The French Dispatch“ nachgekocht werden kann, gibt es insgesamt neun sorgfältig ausgestaltete Kapitel zu entdecken. Beleuchtet und geehrt werden hierbei insbesondere einzelne Objekte, denen in der Gesamtheit von Wes Anderson bunten Spektakeln nicht immer die Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie verdienen und es kommen Details ans Licht, die seinen Filmen ganz neues Leben einhauchen.

Das Buch ist ein multisensorisches Erlebnis: Ein literarischer Bildband, ein visuelles Archiv und eine intime Reise durch die Gedankenwelt des Regisseurs. Die Kapitel sind wunderschön aufbereitet mit Standbildern aus den Filmen, Behind-the-Scenes-Fotografien, Zeichnungen und unzähligen Kleinigkeiten, wie Bibliothekskarten oder Notizzetteln. Dabei wird deutlich, wie viel Arbeit und Liebe zum Detail hinter jedem einzelnen Bestandteil von Wes Andersons Verfilmungen steckt. Nichts wird dem Zufall überlassen und jeder noch so kleine Gegenstand wird akribisch und perfektionistisch ausgewählt, was man den Gesamtkompositionen ohne Frage ansieht. Schade ist hierbei allerdings, dass der Schaffensprozess und wer hinter den liebevoll gestalteten Gegenständen steckt von den beiden Autoren im Buch kaum thematisiert wird. Denn Film ist eine kollektive Kunstform und ein Regisseur alleine kann derart umfangreiche Projekte unmöglich alleine stemmen. Hinter den Inszenierungen, die wir am Ende auf der Leinwand als „das ist eindeutig ein Wes Anderson-Film“ identifizieren, stecken in Wirklichkeit hunderte Menschen, die alle ihren Teil und ihre eigene Kreativität zur Entstehung dieser Werke beitragen. Das „Museum of Wes Anderson“ wäre daher ein schöner Ort gewesen, auch diesen Menschen, den Set Designern, Kostümbildnern und zahlreichen anderen Beteiligten, einen Platz zu widmen, um sie und ihr kreatives Schaffen, das für die meisten Zuschauer oft im Verborgenen bleibt, sichtbar zu machen. Abgesehen von diesem kleinen Kritikpunkt, wollen Camille Mathieu und Johan Chiarmonte aber auch gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, was bei der unglaublichen Fülle an Details und Referenzen in Andersons werken auch kaum möglich ist.

Was mir an diesem Buch besonders gut gefällt, ist, dass man selbst als eingefleischter Wes Anderson-Fan unzählige Dinge entdecken kann und vielleicht sogar einen neuen Lieblingsfilm findet. Denn „The Museum of Wes Anderson“ beschränkt sich nicht auf Andersons erfolgreichste und weltbekannte Werke, sondern verweist auch auf unbekanntere Titel, wie den Kurzfilm „Hotel Chevalier“ mit Jason Schwarzmann und Natalie Portman.


© Fox Searchlight Film – Pictorial Press Ltd - Alamy Stock Photo

Während ich mich auf meine imaginäre Reise durch das Museum begeben habe, konnte ich meinen Lieblingsfilmemacher und sein Werk auf ganz neue Weise entdecken und wertschätzen lernen. Das Buch selbst mit seinem kreativen, farbenfrohen und doch sehr formal akkuraten Layout liest sich selbst wie ein Wes Anderson Film und ich konnte voll und ganz in bisher unentdeckte Details von geliebten Filmen wie „Fantastic Mr. Fox“ oder „The Royal Tenenbaums“ eintauchen. Das Formale und dennoch völlig Absurde, was ich an seinen Kreationen so sehr liebe, ist das, was ihm seine Kritiker oft vorwerfen. Seine Filme seien zu stilisiert, zu „künstlich“. Wes Andersons Werke sind wie gemalte Dioramen, in denen jede Figur ihren Platz hat, jeder Gegenstand mit Bedeutung aufgeladen ist und jede Bewegung einer präzisen Choreographie folgt. Alles wirkt so bewusst, so kunstvoll, dass es fast zu schön ist, um wahr zu sein. „The Museum of Wes Anderson“ zeigt einmal mehr, dass genau hier die Genialität des Filmemachers liegt. Andersons Stil ist kein Selbstzweck oder nur ästhetische Spielerei, sondern ein Instrument der Erzählung. Die Symmetrie in seinen Bildern spiegelt oft die innere Ordnung wider, nach der sich vieler seiner absurden und einzigartigen Figuren so sehr sehnen. Andersons Charaktere sind meist Personen, die ihren Platz in der Welt suchen. Egal ob Royal Tenenbaum, der verzweifelt versucht wieder mit seiner zerrütteten Familie zusammenzufinden oder Ash Fox, der sich Verständnis und Anerkennung von seinen Eltern wünscht, diese Figuren sind Außenseiter, Tagträumer, Versager und Helden zugleich. Sie kämpfen gegen Schwierigkeiten an, die das Leben oft mit sich bringt und finden in den absurdesten Momenten Verbindungen. In der perfekt ausgerichteten Welt von Wes Anderson lebt das emotionale Chaos der Figuren, die oft mit sich selbst im Konflikt stehen - ein Chaos, das durch äußerliche Präzision gezähmt wird. Jeder Farbton, jede Bewegung der Kamera ist Teil einer größeren Poesie. Und letztendlich ist es oft genau diese „Künstlichkeit“, die so tief menschlich wirkt. Denn mit seinen Geschichten zeigt der Filmemacher, dass die Welt immer ein Stück weit inszeniert ist, dass wir alle Kulissen bauen, um die Tragik unseres Lebens ins etwas Schöneres zu verwandeln.

Als Zuschauerin fühle ich mich in Wes Andersons Welten bedingungslos willkommen. Sie sind fremdartig und doch vertraut, erinnern an die Kindheit und erzeugen ein angenehmes Gefühl von Nostalgie und Sehnsucht nach Orten, die man nie zuvor besucht hat. Es sind diese Verbindungen, die Wes Anderson zu meinem Lieblingsregisseur machen. Er baut Brücken zwischen der Realität und der Fantasie, zwischen Schmerz und Schönheit, zwischen Ordnung und Chaos. Ihm gelingt es auf meisterhafte Weise die Sehnsucht nach etwas scheinbar Unerreichbarem so zu gestalten, dass es für einen kurzen, wunderschönen Moment greifbar wird.

Die imaginäre Ausstellung macht Lust darauf, in diese magische Welt einzutauchen, vertraute Werke wieder zu entdecken und auch neuen Charakteren und Orten in diesem fantasievollen Setting zu begegnen. „The Museum of Wes Anderson“ ist nicht nur ein Buch über Film. Es ist eine Liebeserklärung an die Kunst des Geschichtenerzählers, an das Kino und an Wes Andersons einzigartigen Blick auf die Welt.


THE MUSEUM OF WES ANDERSON:
His Movies And The Works That Inspired Them

Johan Chiaramonte (Autor), Camille Mathieu (Autor)
Prestel Verlag | Gebundene Ausgabe: 216 Seiten


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