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SACHBUCH | 18.06.2025

Thomas Mann: Ein Leben

Er ist der literarische Magier des zwanzigsten Jahrhunderts: Nobelpreisträger und gefeiertes Genie, Großbürger und Familienvater, mit seiner Frau Katia in jahrzehntelanger Ehe verbunden und zugleich so unglücklich, wie man nur sein kann. Er liebt und darf nicht lieben, die Vorstellungen seiner Zeit stehen ihm im Weg. Was für ein Antrieb zu großer Literatur – und was für ein leidvolles Leben.

von Steffie Sallieri

Am 1. Februar 2022 jährte sich Thomas Manns Todestag zum 67. Mal, ein Datum, das stets Anlass bietet, sich erneut seinem monumentalen Schaffen und seiner komplexen Persönlichkeit zu widmen. Tilmann Lahmes Biografie "Thomas Mann: Ein Leben" (2015) tritt mit dem Anspruch an, den Menschen hinter dem Nobelpreisträger und die Entstehung seines Werkes auf eine prägnante und zugängliche Weise zu beleuchten. Eine kritische Auseinandersetzung mit Lahmes Beitrag fordert zugleich eine literaturwissenschaftliche Betrachtung des Gesamtkunstwerks "Thomas Mann" ein – ein Œuvre, das auch heute noch zentrale Fragen der menschlichen Existenz, der Kunst und der Gesellschaft verhandelt. Lahmes "Thomas Mann: Ein Leben" zeichnet sich durch seinen Versuch aus, das vielschichtige Dasein des Autors in einem vergleichsweise knappen Umfang zu erfassen. Die Stärke der Biografie liegt in ihrer klaren Struktur und der flüssigen Erzählweise, die auch Leser ohne tiefgehende Vorkenntnisse an die Materie heranführt. Lahme gelingt es, die wesentlichen Stationen von Manns Leben – von der lübeckischen Kindheit über die Münchner Bohème, die Exiljahre in den USA bis zur späten Rückkehr nach Europa – prägnant darzustellen. Er beleuchtet die familiären Beziehungen, insbesondere zu seinem Bruder Heinrich, die politischen Wandlungen vom unpolitischen Ästheten zum Verfechter der Demokratie und die Entwicklung seiner literarischen Themen. Ein Verdienst Lahmes ist es, Thomas Mann als einen Menschen seiner Zeit zu präsentieren, der tief in den geistigen Strömungen seiner Epoche verankert war und zugleich die politischen Umbrüche mit kritischem Blick begleitete. Die Darstellung von Manns Homosexualität und deren subtile Verarbeitung in seinem Werk wird sensibel, aber nicht explizit thematisiert, was der Biografie eine gewisse Eleganz verleiht. Lahme vermeidet es, sich in überbordenden Details zu verlieren, und konzentriert sich auf die essenziellen Linien, die Manns Leben und Schaffen prägten. Allerdings birgt gerade diese Prägnanz auch eine inhärente Schwäche.

Das Bemühen um Zugänglichkeit führt stellenweise zu einer Reduktion der Komplexität. Thomas Manns intellektuelle Tiefe, seine philosophischen Reflexionen und die subtilen psychologischen Nuancen, die sein Werk auszeichnen, können in einem derart gestrafften Format nur angedeutet werden. Für Leser, die eine umfassende und analytische Auseinandersetzung mit Manns Gedankenwelt suchen, könnte Lahmes Biografie daher zu oberflächlich erscheinen. Sie bietet einen hervorragenden Überblick, kratzt aber bisweilen nur an der Oberfläche jener Abgründe, die Mann in seinen eigenen Werken so meisterhaft auslotete. Die Verflechtung von Leben und Werk, die bei Mann so einzigartig ist, wird zwar thematisiert, doch die literaturwissenschaftliche Durchdringung bleibt notwendigerweise begrenzt. Die literaturwissen-schaftliche Bedeutung von Thomas Manns Werk ist kaum zu überschätzen. Sein Œuvre bildet einen Brückenpfeiler der Moderne, der die Ästhetik des 19. Jahrhunderts mit den existentiellen Fragen des 20. Jahrhunderts verbindet. Manns Schreiben ist geprägt von einer einzigartigen Synthese aus epischer Breite, ironischer Distanz und tiefgründiger Symbolik. Zentrale Motive, die sich durch sein gesamtes Schaffen ziehen, sind der Konflikt zwischen Geist und Leben, zwischen Bürgertum und Künstlertum, sowie die Dialektik von Krankheit und Genie. Von den frühen, psychologisch nuancierten Familienromanen wie den "Buddenbrooks" (1901), die den Verfall einer Kaufmannsfamilie als Metapher für den Niedergang einer ganzen Epoche inszenieren, über die novellistische Auseinandersetzung mit existenziellen Grenzerfahrungen in "Der Tod in Venedig" (1912) bis hin zum philosophisch dichten Hauptwerk "Der Zauberberg" (1924) – Manns Texte sind ein Spiegel der geistigen und gesellschaftlichen Verwerfungen seiner Zeit. "Der Zauberberg" etwa ist nicht nur ein Entwicklungsroman, sondern eine enzyklopädische Auseinandersetzung mit den Ideen des Fin de Siècle und den Vorboten des kommenden europäischen Katastrophenzeitalters. Die Ironie, ein charakteristisches Stilmerkmal Manns, fungiert dabei als ein intellektuelles Spiel mit dem Leser, das Distanz schafft und zugleich tiefere Bedeutungszusammenhänge offenbart. Diese Distanz ermöglicht es ihm, auch moralisch ambivalente Figuren wie den "Betrüger" Felix Krull in "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" (1954) oder den Faust-Pakt schließenden Komponisten Adrian Leverkühn in "Doktor Faustus" (1947) mit einer komplexen psychologischen Tiefe zu zeichnen. Gerade "Doktor Faustus" ist ein monumentales Werk, das die deutsche Katastrophe im 20. Jahrhundert auf einer mythologischen und künstlerischen Ebene verhandelt und die Frage nach der Schuld und der Verstrickung des Genies in das Böse stellt. Manns literarischer Einfluss erstreckt sich auch auf seine Sprachkunst. Sein präziser, oft verschachtelter Satzbau, seine reiche Metaphorik und sein feines Gespür für Rhythmus verleihen seinen Texten eine einzigartige musikalische Qualität. Er war ein Meister der Motivtechnik, die es ihm erlaubte, Themen und Leitmotive durch sein gesamtes Werk zu spannen und so einen kohärenten literarischen Kosmos zu schaffen.


THOMAS MANN: EIN LEBEN

Tilmann Lahme (Autor) | dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG | Gebundene Ausgabe: 592 Seiten


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