Mauern
haben Konjunktur, von der US-amerikanischen Mauer an der Grenze zu Mexiko
bis hin zu der Firewall, mit der China sich im Internet gegen den Westen
abschottet. Europa errichtet Zäune gegen Flüchtlinge, Mauern
und Grenzanlagen ziehen sich durch den Nahen Osten, den Sudan, Korea,
Indien. Ein neues Zeitalter des Isolationismus und Nationalismus ist
angebrochen. Mindestens 65 Länder der Welt, mehr als je zuvor,
haben stark befestigte Grenzen. Tim Marshall macht eine Weltreise entlang
dieser Mauern in der Landschaft und im Kopf, erforscht ihre Geschichte
und befasst sich mit den Ursachen dafür. Eine fesselnde und scharfsinnige
Analyse, wie Abschottung immer mehr die Gegenwart prägt…
In seinem neuen Buch „Abschottung
- Die neue Macht der Mauern“ beschäftigt sich Tim Marshall
(„Die Macht der Geographie“) mit dem weltweit beobachtbaren
Phänomen der Abschottung. Diese Abschottung kann sich in Mauern
manifestieren, aber auch in einer inneren Abschottung gegen neue Ideen
und fremde Einflüsse. Tim Marshall ist ein anerkannter Experte
und Außenpolitik und Politik-Redakteur bei Sky News, einem 24-Stunden-Nachrichtenkanal
mit Sitz in Großbritannien. In seiner Karriere hat er unzählige
Länder bereist und dabei aus zahlreichen Krisen- und Kriegsgebieten
berichtet, darunter aus Afghanistan, dem Irak, dem Libanon und aus Israel.
Marshall gilt als profunder Kenner der US-Politik hat vor seiner Zeit
für Sky News für die BBC als Korrespondent für Europa
und den Nahen Osten tätig. Mehrere Bücher zeugen von seiner
Fähigkeit komplexe Sachverhalte kompetent für ein breites
Publikum herunterzubrechen, ohne auf Qualität zu verzichten. So
gesehen, ist Tim Marshall der richtige Mann, um sich eines kontroversen
Themas anzunehmen, dass die Geschicke der Menschen weltweit noch für
viele Jahrzehnte bestimmen wird.
Wenn es um die Themen Abschottung
und Mauern geht, werden viele Deutsche sofort an jene Mauer denken,
die zwischen 1961 und 1989 Berlin, Deutschland und Europa geteilt hat.
In jenen Tagen war der Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen
dem „Westen“, angeführt von den USA und dem „Osten“,
angeführt von UdSSR, in Deutschland und speziell in Berlin. Hier
konnte aus dem Kalten Krieg jederzeit ein die Menschheit vernichtender
globaler Nuklearkrieg entstehen und die menschliche Zivilisation für
immer im atomaren Feuer verglühen lassen. Als 1989 die Mauer endlich
durch eine friedliche Revolution fiel, war die Hoffnung groß,
dass ein neues goldenes Zeitalter hereinbrechen würde. Doch das
war ein Trugschluss. Im Jahre 2021 bestimmen Mauern und der Wunsch nach
Abschottung die Politik vieler Staaten. Aber diese Tendenz der Abschottung
geht viel weiter. Sie reicht hinein bis das alltägliche Zusammenleben
der Menschen. Abschottung muss sich sich nicht zwangsläufig in
materiellen Mauern manifestieren. Es gibt auch die innere Abschottung
entlang ethnischer Grenzen und entlang ideologischer Grenzen. Die Gesellschaften
zerfallen immer mehr in „Meinungsblasen“, die nach Prinzip
„Hier wir – dort die Anderen“ agieren.
Tim Marshall beschreibt in seinem
Buch in ruhigen und kompetenten Worten die unterschiedlichen Formen
der Abschottung weltweit und nimmt die Leserinnen und Lesern mit auf
eine faszinierende Weltreise. Angefangen bei der VR China, führt
diese Reise in die USA, in den Nahen Osten, auf den indischen Subkontinent
und nach Europa. Dabei informiert der Autor geschickt nicht nur über
das Thema Abschottung, sondern informiert zudem über die Geschichte
der Länder und Regionen. Insgesamt weist dieses Buch einen hohen
Informationsgehalt auf. Man wird mit schmerzhaften Tatsachen konfrontiert,
wie den insgesamt sich über 759 km hinziehenden mörderischen
Sperranlagen, die Israel in Palästina errichtet hat und die erst
unlängst vom Internationalen Gerichtshof als völkerrechtswidrig
eingestuft wurden. Oder aber die Mauer, welche den griechischen und
den türkischen Teil Zypern teilt. Tim Marshall macht mit seinem
Buch schmerzhaft bewusst, dass es viele Orte auf dieser Welt gibt, die
zwar aus den täglichen Nachrichten verschwunden sind, die deren
Schmerz und Ungerechtigkeit gen Himmel schreien.
Aber das Buch geht noch weiter.
Es entführt die Leserinnen und Lesern an Orte des Schreckens und
der Abschottung, von denen er bislang kaum gehört hat. Etwa an
die Grenze zwischen Indien und Bangladesch, wo ein 4.000 km langer Grenzzaun
steht, der schwer befestigt ist. Oder aber der „marokkanische
Wall“, der inmitten der Sahara auf über 2.700 km Länge
die Westsahara und Marokko trennt. Und die Beispiele ließen sich
an dieser Stelle noch lange fortsetzen. Das spricht für die Genauigkeit
dieses Buches und der Detailstreue des Autors. Dieses Buch ist jedoch
keine schnöde Aufzählung von Mauern, Befestigungsanlagen und
Grenzposten. Vielmehr geht der Autor den Ursachen für diese Form
der Abschottung nach, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Menschen
formieren sich seit der Dämmerung der Menschheit in Gruppen, Sippen
und Clans. Das diente dem Schutz der Gemeinschaft und dem Aufbau einer
Gruppenidentität. Dadurch können Kontakte zu anderen Gruppen
entstehen und eine vernetzte Zusammenarbeit ist die Folge. Grenzen und
damit einhergehende Schutzmaßnahmen, seien sie wirtschaftlich
oder sicherheitspolitisch begründet, sind das souveräne Recht
einer jeden Gemeinschaft. Ein Staat der seine Grenzen aufgibt, gibt
sich selber auf. Doch das Problem ist wesentlich komplexer.
Es gibt einen Unterschied zwischen
einer Kontrolle über die eigenen Staatsgrenzen und einer Abschottung
zu anderen Staaten. Diese Art der Abschottung, das können wir in
diesem Buch erfahren anhand von Beispielen, sind ungelöste territoriale
Probleme und Streitigkeiten. Man muss nur einen Blick nach Afrika wenden.
Dort wurden von den Kolonialmächten, angeführt von Großbritannien
und Frankreich, willkürliche Grenzen mit dem Lineal gezogen, die
den Interessen der Eroberer genügten, aber keinerlei Rücksicht
auf gewachsene Strukturen, Sprachzugehörigkeiten, Stämme und
Ethnien nahmen. Die Folgen nach der Entkolonialisierung sind bis zum
heutigen Tag blutig zu spüren – ungelöste Grenzkonflikte
zwischen den Staaten. Ungelöste Konflikte, die zu Abschottung und
zur Errichtung von Mauern führen.
Die Lage im Nahen Osten ist ähnlich.
Dort zogen Frankreich und Großbritannien willkürliche Grenzen
zwischen ihren Mandatsgebieten und schufen ein Chaos, dass sich bis
in die heutige Zeit in blutigen Konflikten manifestiert. Welche Lösungsmöglichkeiten
gibt es für diese schier unlösbaren Konflikte zwischen den
Staaten? Was bedeutet Massenimmigration und die daraus resultierenden
Abschottungstendenzen? Gibt es Wege aus dem ideologischen „Blasendenken“?
Dieses Buch gibt Erklärungsmuster vor und deutet Lösungsweg
aus der Krise an. Einfach Lösungen sind dabei jedoch nicht zu erwarten.
Jede Veränderung macht den Menschen Angst und doch ist Wandel die
einzige Konstante der menschlichen Geschichte. „Abschottung“
von Tim Marshall ist eine analytisch brillante Beschreibung einer Welt
im Wandel. Einer Welt, die noch nicht entschieden hat, wohin die Reise
geht. Abschottung beruht auf Misstrauen. Vertrauen aufzubauen ist jedoch
nicht einfach und sehr langwierig. Wissen ist ein erster Schritt auf
dem Weg Vertrauen aufzubauen.