„Dies
ist die Geschichte einer kleinen gemeinen Lynchjustiz, die in unser
Privatleben eindringt, uns Identitäten zuschreibt und unseren demokratischen
Austausch zensiert. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag eine
Gruppe, eine Minderheit, ein zum Stellvertreter einer Sache sich aufspielendes
Individuum, das fordert, droht und uns auf die Nerven geht. In Kanada
fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich nicht dem
Risiko der indischen Kultur auszusetzen. In den Vereinigten Staaten
würde man am liebsten asiatische Menüs in den Kantinen verbieten
und die als anstößig und normativ verurteilten großen
klassischen Werke von Flaubert bis Dostojewski aus dem Unterrichtsplan
streichen. Studenten bezeichnen den geringsten Widerspruch als »Mikroaggression«
und klagen »safe spaces« ein. In Wirklichkeit aber lernt
man nur, Debatten zu meiden. Aufgrund geographischer oder sozialer Herkunft,
Geschlecht, Hautfarbe und der persönlichen Geschichte versucht
man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen.
Eine einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht.“
(Caroline Fourest)
Caroline
Fourest zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten intellektuellen
Stimmen Frankreichs. Die feministische Schriftstellerin und Journalisten
engagiert sich seit vielen Jahren Im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit,
Rassismus und Sexismus. Sie ist Herausgeberin des Magazins ProChoix
und eine entschiedene Verfechterin des Laizismus in Frankreich. Die
intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islamismus stellt einen Schwerpunkt
ihrer publizistischen Arbeit in den letzten Jahren dar. Nun hat sich
Caroline Fourest mit einem neuen Buch zurückgemeldet. In „Generation
beleidigt“ geht sie hart zu Gericht mit dem wachsenden Einfluss
identitärer Linker, die deren gesellschaftlicher Einfluss stetig
wächst.
Für
die Autorin ist das Jahr 1977 die Geburtsstunde der postmodernen Identitätspolitik,
die innerhalb der Linken immer mehr an Einfluss gewinnt und sie zunehmend
weltanschaulich prägt. Aus Sicht der Autorin eine verhängnisvolle
Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss. 1977 verfasste das Combahee
River Collective, eine Gruppe von schwarzen lesbischen Feministinnen,
einen vielfach beachteten Aufruf, in dem sie den Begriff der Identitätspolitik
für sich in Anspruch nahm: „Wir glauben, dass die tiefste
und möglicherweise radikalste Politik direkt unserer Identität
entspringt und nicht der Aufgabe, der Unterdrückung von jemand
anderem ein Ende zu setzen.“
In
ihrem Buch, dass in sehr klaren analytischen Worten verfasst ist, kritisiert
die Autorin in offenen und durchaus streitlustigen Worten das Verhalten
der identitären Linken, angetrieben vom Eifer der Jugend, dass
weite Gesellschaftliche Bereiche unter eine strenge Gesinnungsdisziplin
zu stellen droht. Für Fourest, die tief in der Tradition der Aufklärung
verwurzelt ist, eine große Gefahr und eine Katastrophe für
die Linke. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Die Autorin
arbeitet in ihrem Buch sehr schön heraus, dass die Zensur nicht
mehr von der konservativen und Rechten kommt, sondern in diesen Tagen
von Seiten der identitären Linken. Politische Korrektheit wird
zu einem freiheitsbedrohenden Zerrbild. Durch soziale Medien und das
darin enthaltene Empörungspotential werden geschickt von diesen
Gruppen instrumentalisiert. Laut Fourest bedeutet politisches Engagement
für diese Gruppen sich über alles beleidigt zu fühlen
und aufzuregen. Dies geschieht so lange, bis der Denunzierte sich öffentlich
entschuldigt und bereut. Ansonsten folgt die Zensur. Dementsprechend
ist diese identitäre Linke hauptsächlich damit beschäftigt
sich mit den Themen Ausschluss und Boykott in Bezug auf unliebsame Gruppen
und Menschen zu beschäftigen.
Ein
beliebtes Betätigungsfeld ist diesbezüglich das Thema „Kulturelle
Aneignung“, welches die Autorin in ihrem Buch ausführlich
beschreibt und kritisiert. Für identitäre Linke ist kulturelle
Aneignung immer dann gegeben, wenn weiße Menschen Elemente einer
vermeintlich authentischen nicht-weißen Kultur adaptieren. Die
Autorin führt dazu aus, dass die identitäre Linke nicht die
Grenzen zwischen den Kulturen und die Begrenzungen von Volk und Land
abbauen will, sondern einen separatistischen Multikulturalismus etablieren
möchte: „Anstatt Stereotype zu beseitigen, werden sie verstärkt
und so letztlich in Konkurrenz zueinander gebracht.“ An dieser
Stelle wird verständlich, wieso der früher innerhalb der Linken
vorherrschende Universalismus nicht kompatibel ist mit der identitären
Linke. Für Fourest ist die Ideologie der identitären Linken
gerade in Bezug auf den Islamismus fatal und gefährlich: „Ob
sie nun vergewaltigen, verschleiern oder enthaupten, in dieser kruden
Wahrnehmung sind sie vor allem eines: Rebellen und Verdammte dieser
Erde, die versuchen, sich selbst zu dekolonisieren.“
„Generation
beleidigt“ von Caroline Fourest ist nicht nur eine intellektuell
brillant geschriebene Streitschrift, sondern bietet zugleich einen interessanten
und informativen geschichtlichen Rückblick zum Thema und macht
viele Dinge somit leichter verständlich. Dieses Buch bildet und
fordert heraus. Dabei kann die Autorin aus eigener Erfahrung schreiben.
Ihre Vorträge wurden in der Vergangenheit vielfach, auch mit Gewalt,
gestört. Als sie sich kritisch über das Diktat der Vollverschleierung
äußert, rufen Studierende zu ihrer „symbolischen Steinigung“
auf. Für die Autorin besteht die reale Gefahr, dass sich westliche
Universitäten zu „intellektuellen Ghettos“ verkommen.
Für sie sind „safe spaces“ in erster Linie ein Schutzraum
vor Erkenntnis. „Hochgeschätzt wird in der heutigen Zeit
das Opfer, nicht der Mut“, so Fourest. Aus ihrer Sicht hat die
identitäre Linke ein großes Interesse, dass die scheinbaren
Diskriminierungen fortdauern. Schon längst hat sich an westlichen
Universitäten und im Kulturbetrieb ein selbsterhaltender Betrieb
formiert, für den die ständige Anklagen des weißen,
westlichen Eurozentrismus die beste Voraussetzung ist, um Karriere zu
machen. Sich über Privilegien zu empören ist die beste Gelegenheit
selber eine privilegierte Stellung einzunehmen.
Dieses
Buch ist ein wichtiger Diskussionsbeitrag zu einer Debatte, die geführt
werden muss. Wir stehen am Scheideweg zwischen populistischen Bewegungen
von Links und Rechts und dem Weg in einer wahrhaft freien Gesellschaft.
Es ist verlockend und einfach sich beleidigt zu fühlen und in seine
Ecke zurückzuziehen. Wesentlich anstrengender, aber dafür
auch sehr viel ergiebiger, ist es jedoch, sich mit dem vermeintlichen
Feind auseinanderzusetzen und in einen intellektuellen Dialog zu treten.
Raus aus der eigenen Blase und sich konfrontieren mit unliebsamen Meinungen,
die nicht in das eigene Weltbild passen. Wir müssen verstehen,
dass jeder Mensch zunächst ein Mensch ist und wertvoll ist. Wir
reden nicht über den politischen Gegner, sondern über einen
fühlenden Menschen. Zensur, Sprech- und Denkverbote führen
in die Irre und führen zu Widerstand und Konfrontation. Es ist
bittere Ironie der Geschichte, dass in der heutigen Zeit Zensur nicht
mehr von der konservativen Seite ausgeübt wird, sondern von der
scheinbar progressiven identitären Linken. Dem Buch von Caroline
Fourest muss man nicht in allen Punkten zustimmen, aber man sollte es
gelesen haben und darüber nachdenken.