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SACHBUCH | 27.01.2021

Generation beleidigt

Caroline Fourest zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten intellektuellen Stimmen Frankreichs. Nun hat sich Caroline Fourest mit einem neuen Buch zurückgemeldet. In „Generation beleidigt“ geht sie hart zu Gericht mit dem wachsenden Einfluss identitärer Linker, die deren gesellschaftlicher Einfluss stetig wächst.

von Melanie Thaler

„Dies ist die Geschichte einer kleinen gemeinen Lynchjustiz, die in unser Privatleben eindringt, uns Identitäten zuschreibt und unseren demokratischen Austausch zensiert. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag eine Gruppe, eine Minderheit, ein zum Stellvertreter einer Sache sich aufspielendes Individuum, das fordert, droht und uns auf die Nerven geht. In Kanada fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich nicht dem Risiko der indischen Kultur auszusetzen. In den Vereinigten Staaten würde man am liebsten asiatische Menüs in den Kantinen verbieten und die als anstößig und normativ verurteilten großen klassischen Werke von Flaubert bis Dostojewski aus dem Unterrichtsplan streichen. Studenten bezeichnen den geringsten Widerspruch als »Mikroaggression« und klagen »safe spaces« ein. In Wirklichkeit aber lernt man nur, Debatten zu meiden. Aufgrund geographischer oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und der persönlichen Geschichte versucht man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen. Eine einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht.“
(Caroline Fourest)

Caroline Fourest zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten intellektuellen Stimmen Frankreichs. Die feministische Schriftstellerin und Journalisten engagiert sich seit vielen Jahren Im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Sexismus. Sie ist Herausgeberin des Magazins ProChoix und eine entschiedene Verfechterin des Laizismus in Frankreich. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islamismus stellt einen Schwerpunkt ihrer publizistischen Arbeit in den letzten Jahren dar. Nun hat sich Caroline Fourest mit einem neuen Buch zurückgemeldet. In „Generation beleidigt“ geht sie hart zu Gericht mit dem wachsenden Einfluss identitärer Linker, die deren gesellschaftlicher Einfluss stetig wächst.

Für die Autorin ist das Jahr 1977 die Geburtsstunde der postmodernen Identitätspolitik, die innerhalb der Linken immer mehr an Einfluss gewinnt und sie zunehmend weltanschaulich prägt. Aus Sicht der Autorin eine verhängnisvolle Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss. 1977 verfasste das Combahee River Collective, eine Gruppe von schwarzen lesbischen Feministinnen, einen vielfach beachteten Aufruf, in dem sie den Begriff der Identitätspolitik für sich in Anspruch nahm: „Wir glauben, dass die tiefste und möglicherweise radikalste Politik direkt unserer Identität entspringt und nicht der Aufgabe, der Unterdrückung von jemand anderem ein Ende zu setzen.“

In ihrem Buch, dass in sehr klaren analytischen Worten verfasst ist, kritisiert die Autorin in offenen und durchaus streitlustigen Worten das Verhalten der identitären Linken, angetrieben vom Eifer der Jugend, dass weite Gesellschaftliche Bereiche unter eine strenge Gesinnungsdisziplin zu stellen droht. Für Fourest, die tief in der Tradition der Aufklärung verwurzelt ist, eine große Gefahr und eine Katastrophe für die Linke. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Die Autorin arbeitet in ihrem Buch sehr schön heraus, dass die Zensur nicht mehr von der konservativen und Rechten kommt, sondern in diesen Tagen von Seiten der identitären Linken. Politische Korrektheit wird zu einem freiheitsbedrohenden Zerrbild. Durch soziale Medien und das darin enthaltene Empörungspotential werden geschickt von diesen Gruppen instrumentalisiert. Laut Fourest bedeutet politisches Engagement für diese Gruppen sich über alles beleidigt zu fühlen und aufzuregen. Dies geschieht so lange, bis der Denunzierte sich öffentlich entschuldigt und bereut. Ansonsten folgt die Zensur. Dementsprechend ist diese identitäre Linke hauptsächlich damit beschäftigt sich mit den Themen Ausschluss und Boykott in Bezug auf unliebsame Gruppen und Menschen zu beschäftigen.

Ein beliebtes Betätigungsfeld ist diesbezüglich das Thema „Kulturelle Aneignung“, welches die Autorin in ihrem Buch ausführlich beschreibt und kritisiert. Für identitäre Linke ist kulturelle Aneignung immer dann gegeben, wenn weiße Menschen Elemente einer vermeintlich authentischen nicht-weißen Kultur adaptieren. Die Autorin führt dazu aus, dass die identitäre Linke nicht die Grenzen zwischen den Kulturen und die Begrenzungen von Volk und Land abbauen will, sondern einen separatistischen Multikulturalismus etablieren möchte: „Anstatt Stereotype zu beseitigen, werden sie verstärkt und so letztlich in Konkurrenz zueinander gebracht.“ An dieser Stelle wird verständlich, wieso der früher innerhalb der Linken vorherrschende Universalismus nicht kompatibel ist mit der identitären Linke. Für Fourest ist die Ideologie der identitären Linken gerade in Bezug auf den Islamismus fatal und gefährlich: „Ob sie nun vergewaltigen, verschleiern oder enthaupten, in dieser kruden Wahrnehmung sind sie vor allem eines: Rebellen und Verdammte dieser Erde, die versuchen, sich selbst zu dekolonisieren.“

„Generation beleidigt“ von Caroline Fourest ist nicht nur eine intellektuell brillant geschriebene Streitschrift, sondern bietet zugleich einen interessanten und informativen geschichtlichen Rückblick zum Thema und macht viele Dinge somit leichter verständlich. Dieses Buch bildet und fordert heraus. Dabei kann die Autorin aus eigener Erfahrung schreiben. Ihre Vorträge wurden in der Vergangenheit vielfach, auch mit Gewalt, gestört. Als sie sich kritisch über das Diktat der Vollverschleierung äußert, rufen Studierende zu ihrer „symbolischen Steinigung“ auf. Für die Autorin besteht die reale Gefahr, dass sich westliche Universitäten zu „intellektuellen Ghettos“ verkommen. Für sie sind „safe spaces“ in erster Linie ein Schutzraum vor Erkenntnis. „Hochgeschätzt wird in der heutigen Zeit das Opfer, nicht der Mut“, so Fourest. Aus ihrer Sicht hat die identitäre Linke ein großes Interesse, dass die scheinbaren Diskriminierungen fortdauern. Schon längst hat sich an westlichen Universitäten und im Kulturbetrieb ein selbsterhaltender Betrieb formiert, für den die ständige Anklagen des weißen, westlichen Eurozentrismus die beste Voraussetzung ist, um Karriere zu machen. Sich über Privilegien zu empören ist die beste Gelegenheit selber eine privilegierte Stellung einzunehmen.

Dieses Buch ist ein wichtiger Diskussionsbeitrag zu einer Debatte, die geführt werden muss. Wir stehen am Scheideweg zwischen populistischen Bewegungen von Links und Rechts und dem Weg in einer wahrhaft freien Gesellschaft. Es ist verlockend und einfach sich beleidigt zu fühlen und in seine Ecke zurückzuziehen. Wesentlich anstrengender, aber dafür auch sehr viel ergiebiger, ist es jedoch, sich mit dem vermeintlichen Feind auseinanderzusetzen und in einen intellektuellen Dialog zu treten. Raus aus der eigenen Blase und sich konfrontieren mit unliebsamen Meinungen, die nicht in das eigene Weltbild passen. Wir müssen verstehen, dass jeder Mensch zunächst ein Mensch ist und wertvoll ist. Wir reden nicht über den politischen Gegner, sondern über einen fühlenden Menschen. Zensur, Sprech- und Denkverbote führen in die Irre und führen zu Widerstand und Konfrontation. Es ist bittere Ironie der Geschichte, dass in der heutigen Zeit Zensur nicht mehr von der konservativen Seite ausgeübt wird, sondern von der scheinbar progressiven identitären Linken. Dem Buch von Caroline Fourest muss man nicht in allen Punkten zustimmen, aber man sollte es gelesen haben und darüber nachdenken.


Caroline Fourest – GENERATION BELEIDIGT
Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei.
Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik

edition TIAMAT | Broschiert: 144 Seiten | 13. Oktober 2020


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