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BELLETRISTIK | 11.11.2020

Der Massai, der in Schweden
noch eine Rechnung offen hatte

Victor Alderheim, geldgieriger Kunsthändler zweifelhafter Gesinnung, verachtet alles, was aus fremden Ländern kommt: Menschen, Speise, Kunstwerke. Dann trifft er Ole Mbatian, Massai im Besitz millionenschwerer afrikanischer Gemälde – aber ohne jeden Schimmer davon, was Geld ist. Ein wunderbares Chaos beginnt, mit einem Kultur-Clash der ganz besonderen Sorte.

von Eve Pohl


© Bild von Eric Mburu auf Pixabay

Bereits mit seinem ersten Roman rund um einen alten Sprengexperten, der aus dem Altenheim stiften geht, hat sich Jonas Jonasson in die Herzen geschrieben. Sein herrlich skurriler Schreibstil und die absurden Situationen in die sich die einzelnen Charaktere hineinmanövrieren, haben sicherlich schon 2011 den ein oder anderen zum Lachen gebracht. Kein Wunder also, dass alle seine Romane in den Bestsellerlisten gelandet sind. Mit „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ gelingt es Jonasson an seine bisherige Leistung anzuknüpfen. Bereits die Ausgangslage der Geschichte ist so liebevoll geschildert und wird behutsam aufgebaut, bis alle Stränge und Figuren irgendwann zusammentreffen.

Ole Mbatian ist ein kenianischer Medizinmann, der zwar mehrere Frauen und auch acht Töchter, aber leider keinen einzigen Sohn hat. Der wäre allerdings nötig, um das Geschäft fortzuführen. Am anderen Ende der Welt gibt es allerdings einen, der eindeutig einen Sohn zu viel hat. Victor Svensson ist überzeugter Nationalist und hat schon früh festgestellt, dass man mit einer „Position“ mehr ausrichten kann fürs Vaterland, anstatt damit Linke zu verprügeln. Er beginnt in der renommierten Kunstgalerie „Aldersheim“ und wartet ab. Zuerst, dass der Besitzer ihm vertraut, dann auf den Tod der Ehegattin und schließlich auf die Volljährigkeit der Tochter Jenny, damit er sie heiraten und so an das Vermögen der Familie kommen kann. Doch als eine Prostituierte mit seinem Sohn Kevin im Schlepptau, auftaucht, droht der Plan aufzufliegen. Und weil sein Sohn zu Victors Entsetzen auch noch schwarz ist, fährt er mit Kevin kurzerhand nach Nairobi, wo sollte er schließlich auch sonst hingehören? Dort wiederum wird er von Ola Mbatian aufgesammelt, der überglücklich darüber ist, dass die Götter ihm einen Sohn geschickt haben. Doch irgendwann entschließt sich Kevin nach Schweden zurückzukehren, unter dem Arm zwei Bilder von Irma Stern und im Herzen das Vorhaben sich zu rächen. Doch da hat er die Rechnung ohne Ole gemacht, der seinen Sohn nicht verlorengeben möchte und ihm nach Schweden folgt.


© Bild von jorono auf Pixabay

Währenddessen stirbt in Stockholm Jennys Vater und nach nur wenigen Wochen sind sie und Victor dann auch geschieden, er mit einer Galerie und riesiger Wohnung, sie mit 50 Öre in der Tasche und der Kleidung, die sie am Leib trägt. Die beste Voraussetzung, um den Ex zu verabscheuen. An diesem Punkt der Geschichte sind bereits die Figuren größtenteils eingeführt und es ist klar, wo die Sympathien liegen. Aus Victors Perspektive sind weder Jenny noch Kevin besonders helle, aber da täuscht er sich doch gewaltig. Jenny beispielsweise ist in Belangen der Kunstgeschichte sehr bewandert und hat sofort durchschaut, dass Victor ein Hochstapler ist, der keinen blassen Schimmer von moderner Kunst hat und seinen Satz „Immer dieser Matisse..“ nicht zu Ende führen könnte, ohne sich direkt lächerlich zu machen. Aber auch Kevin erweist sich im Lauf der Geschichte als klüger, als es zuerst scheint. Jonas Jonasson schafft es meisterlich, wie bereits in seinen vorherigen Werken, einzelne Handlungsstränge und Figuren zu einer fesselnden Geschichte zusammenzuführen. Wie er auf die Idee gekommen ist, eine Firma mit dem Namen „Rache ist süß GmbH“ zu erfinden, ist ein wahres Rätsel. Aber doch so genial! Schon die Beschreibung der ersten beiden Fälle, die der Leiter Hugo Hamlin zu bewältigen hat, sind so komisch, dass man Tränen lachen könnte und zeugen von einer Menge Kreativität. Man könnte fast meinen, dass Jonasson mit der Erfindung der Firma allen Schabernack seiner Kinder- und Jugendzeit kanalisiert hat. Alleine diese Geschichte wäre ein eigenes Buch wert. Dass Hugo dabei aber immer zwischen dem moralisch vertretbaren und dem Kundenwunsch schwankt, macht es sogar noch interessanter.

In diesem Roman stechen vor allem die Figurenzeichnung heraus. Sie sind alle sehr unterschiedlich, aber durchweg mit eigenem Kopf, Macken, Eigenheiten und Gefühlen. Keine der Figuren wirkt wie ein Abziehbild und durchschaubar vom ersten Moment an. In Victors Fall beispielsweise, handelt es sich zwar um einen schwedischen Nationalisten erster Güte, aber er ist nicht dumm oder gesellschaftlich inkompatibel. Vielmehr hat er durchaus einen Plan und arbeitet stetig über Jahre daran, bis sich sein „Investment“ schließlich auszahlt. Man tendiert dazu, Nationalisten und Menschen mit rechter Gesinnung, plump darzustellen. Sie neigen dabei oft zu Gewalt und sind zu impulsgesteuert um etwas konsequent zu Ende zu führen.


© Bild von annamaria anderson auf Pixabay

Jonasson schafft es, dass man Victor nicht sofort für seine Gesinnung hasst, sondern weil er ein riesen Fiesling ist und sich durch seine Taten die volle Abneigung verdient. Aber man stellt sich trotzdem die Frage, wieso er eigentlich so geworden ist. Das macht es zu einem so interessanten Buch. Außerdem schafft es der Autor, wie gewohnt, die fiktiven Personen so mit denen zu verbinden, die tatsächlich real existiert haben, so dass ein stimmiges Bild entsteht. In diesem Roman ist das die deutsch-afrikanische Künstlerin Irma Stern, deren Werke noch bis 1933 auch in Deutschland ausgestellt wurden. Dass sie sich als reale historische Person in den Reigen der fiktionalen Charaktere einreiht, fühlt sich aber keinesfalls konstruiert, sondern sehr organisch an. Es könnte so gewesen sein. Die Kapitel sind knackig kurz und sehr gut zu lesen. Man erkennt den Stil des Autors sofort wieder. An manchen Punkten hätte man sich aber vielleicht gewünscht, dass die Wortwahl etwas raffinierter gewesen wäre. Man hätte eigentlich vermutet, dass das Wort „Pimmel“ gar nicht mehr existiert. Das tut es aber wohl doch, zumindest wenn man das Kapitel über die Beschneidung liest, die Kevin haben muss, um als Massai Krieger anerkannt zu werden.

„Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ ist ein wunderbarer Roman für Fans von Jonas Jonasson. Wer bereits „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ oder „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ mochte, wird an diesem Buch seine helle Freude haben. Aber auch wer liebevoll ausgearbeiteten Figuren und zugegebenermaßen etwas konstruierte, aber zutiefst verrückte Handlungsverläufe mag, kommt hier durchaus auf seine Kosten. Man kann bei der Lektüre des Romans herzhaft lachen, aber auch mit den Figuren mitfiebern. Ein durchaus gelungener Roman und eben ein typischer Jonasson.


Jonas Jonasson – Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte

C. Bertelsmann Verlag | Gebundene Ausgabe: 400 Seiten | 26. Oktober 2020


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