SACHBUCH
| 27.01.2021
REBELLION
ODER UNTERGANG!
Eindrücklich
wie nie zuvor klärt Noam Chomsky über die existentiellen Bedrohungen
durch Atomwaffen und den Klimawandel auf. Er stellt diese Bedrohungen
in den Kontext einer nie dagewesenen globalen Macht der Konzerne, die
mittlerweile die führende Rolle bei der Gestaltung unserer Zukunft
übernommen haben. Noam Chomsky zeigt, dass sich globale Volksbewegungen
mobilisieren müssen, um die Regierungen zu zwingen, sich der beispiellosen
Herausforderung für das Überleben unserer Zivilisation zu
stellen.
von
Richard-Heinrich Tarenz
Noam
Chomsky gehört zu den weltweit bekanntesten Intellektuellen und
ist einer der prominentesten Kritiker der US-amerikanischen Politik.
Sein neues Buch „Rebellion oder Untergang! Ein Aufruf zu globalem
Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation“ ist nicht mehr und
nicht weniger als ein kraftvoller Aufruf sich dem Untergang der Menschheit,
wie wir sie kennen, entgegenzustellen. Das Buch erscheint in einer Zeit,
wo die Schlagzeilen weltweit dominiert werden von der durch das Coronavirus
hervorgerufenen Pandemie. Eine Pandemie, die seit mehr als einem Jahr
den Alltag der Menschen maßgeblich bestimmt. Die Menschen erinnern
sich kaum noch an die Zeit vor der Pandemie. Eine Zeit, die bestimmt
wurde durch eine breite gesellschaftliche Diskussion um das Thema Klimawandel.
Die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Aktivisten lenkten den Fokus
der Aufmerksamkeit auf dieses Thema und zwangen Politiker sich mit dem
Klimawandel zu beschäftigen. Es scheint, als ob diese Ereignisse
sich in einer fernen Vergangenheit abgespielt hätten, zu sehr bestimmt
die Pandemie das Denken und das Handeln der Menschen. Doch die Gefahren,
die in Zusammenhang mit dem Klimawandel bestehen, sind nicht verschwunden.
Hinzu kommt die Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen. Eine Gefahr,
die das baldige Ende der Menschheit bedeuten kann. Es ist das Verdienst
von Noam Chomsky, dass er in seinem neuen Buch genau diese beiden Themenkomplexe,
Klimawandel und die Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen, verbindet
und in verständlichen Worten erklärt.
Für
Chomsky ist der 06. August 1945 von zentraler Bedeutung. An diesem Tag
wurde die erste in einem Krieg eingesetzten Atombombe über der
japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen. Er beschreibt diesen Tag wir
folgt: „An jenem Tag wurde klar, dass die menschliche Intelligenz
die Mittel ersonnen hatte, dem 200 000 Jahre alten menschlichen Experiment
ein Ende zu machen“. Für ihn wurde damals ersichtlich, „dass
die Fähigkeit zur Zerstörung der Welt immer größer
werden, bald auch in andere Hände übergehen und so die Gefahr
einer Selbstvernichtung noch steigern würde.“ Für viele
Menschen ist nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen den Westmächten
unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika und dem sogenannten
Ostblock unter Führung der Sowjetunion die Gefahr eines Atomkrieges
aus den Köpfen verschwunden. Zu Unrecht, wie der Autor in diesem
Buch eindrucksvoll aufführt. Dementsprechend ist die Gefahr eines
katastrophalen Atomkrieges real und ernst. Umso erschreckender, dass
der vor wenigen Wochen stattgefundenen US-Präsidentschaftswahlen
dieses Thema faktisch keine Rolle gespielt hat. Noam Chomsky erinnert
an die „Operation Able Archer“ im Jahre 1983.
Damals
wollte die US-Regierung die sowjetischen Verteidigungssystem testen.
Zu einem Zeitpunkt, als sich beide Seiten im Kalten Krieg bis an die
Zähne mit Atomwaffen bewaffnet feindselig gegenüberstanden.
Die Sowjetunion versetzte damals ihre Streitkräfte in Alarmzustand.
Die Welt stand am Rande der nuklearen Vernichtung. Es ist dem weitgehend
unbekannten Leonard Perroots, einem hochrangigen Offizier der US-Streitkräfte,
zu verdanken, dass damals die USA als Reaktion auf die Sowjetunion nicht
ebenfalls in Alarmzustand versetzt wurden und so ein unheilvoller Automatismus
in Gang gesetzt wurde. Stattdessen beschloss Perroots nichts zu tun.
Auf der sowjetischen Gegenseite ist der Offizier Stanislav Petrow zu
erwähnen, der ebenfalls nichts tat, als die sowjetischen automatischen
Systeme im gleichen Jahr einen kurz bevorstehenden Angriff der USA meldeten.
Eine Meldung, die auf der falschen Interpretation von Daten beruhte.
Diese Schilderungen zeigen, wie knapp die Menschheit damals vor der
Auslöschung stand und wie fehleranfällig diese Systeme waren
und sind. Es erscheint wie ein glücklicher Zufall, dass es bislang
noch nicht zu einem Nuklearkrieg aus Versehen gekommen ist – eine
wahrlich erschreckende und beängstigende Vorstellung!
Ebenso
wie auf die Gefahren, die sich aus der Existenz von Nuklearwaffen ergeben,
geht Noam Chomsky in seinem neuen Buch auf die Gefahren des Klimawandels
ein. Er beschreibt die bereits seit einiger Zeit spürbaren Auswirkungen
des Klimawandels, wie eine steigende Zahl von Hurricanes, weltweite
Überschwemmungen, Hitzewellen und das gravierendste Massenaussterben
von Tier- und Pflanzenarten seit Menschengedenken. Der Autor belässt
es jedoch nicht dabei die Gefahren aufzuzeigen. Vielmehr geht es ihm
in seinem Buch darum, Wege aus der Krise aufzuzeigen. Die Frage „Wie
erreichen wir die Menschen“ steht im Mittelpunkt des 2. Kapitels
in seinem Buch. Basiert das erste Kapitel auf einem Vortrag von Noam
Chomsky im Oktober 2016 in Boston, so besteht das zweite Kapitel aus
einem nach dem Vortrag geführtes Gespräch von Chomsky mit
dem Aktivisten Wallace Shawn. Das Gespräch dreht sich um die Frage,
wie man die Menschen erreichen kann und sensibilisieren und informieren
über diese Themen, die für die Zukunft der Menschheit so wichtig
sind. Für Chomsky muss sich zunächst ein Bewusstsein für
diese Themen entwickeln und dann erst kann Aktivismus erfolgen.
Dabei
ist es ein Problem, dass die Medien häufig über genau diese
Themen nur wenig oder nichts berichten. Laut Chomsky fürchten sich
Journalisten vor dem Vorwurf nicht „objektiv“ und parteiisch
und emotional zu berichten. Eine Art der Selbstzensur, die man in vielen
Schichten der Gesellschaft, auch der akademischen Welt, findet. Für
Chomsky ist von elementarer Bedeutung, dass man auch und gerade mit
Menschen spricht, die bei bestimmten Themen ganz anderer Meinung sind.
Man sollte meinen, dass dies in einer modernen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit
sei, aber dem ist nicht so. Die Menschen vergraben sich in ihren ideologischen
Schützengräben und ihren Denkblasen und verweigern die Diskussion
mit dem angeblichen „Feind“. Man informiert sich in diesen
Blasen gerne mit Meinungen und Fakten, welche die eigene Meinung stärken
und stützen. Das ist nicht nur intellektuell fragwürdig, sondern
eine große Gefahr für die Gesellschaft. Für Chomsky
ist ziviler Ungehorsam „eine legitime“ Taktik, jedoch „die
Art und Weise, wie er durchgeführt wird“, ist seiner Ansicht
nicht legitim. Ziviler Ungehorsam kann laut Chomsky nur erfolgen, wenn
der Boden dafür bereitet wurde. Ansonsten sei er schädlich
und kontraproduktiv.
Im
dritten Kapitel von „Rebellion oder Untergang! Ein Aufruf zu globalem
Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation“ geht es um Fragen
und Anmerkungen von Teilnehmern, welche sich durch den Vortragsabend
von Noam Chomsky ergaben. Diese werden klar verständlich im Dialog
beantwortet. Was folgt ist das vierte Kapitel des Buches, in welchem
der Herausgeber im Gespräch mit Noam Chomsky ist. Es geht um „Aktuelle
Gedanken über Bewegungen der Zukunft“. Dieses Kapital bietet
viele interessante Reflektionen über die Frage, wie Menschen sich
in der Zukunft organisieren können und wie weltweite Bewegungen
aussehen könnten, die sich mit den oben benannten Themen beschäftigen.
Noam Chomsky spricht offen über „Extinction Rebellion“
Kapitalismus, Demokratie und viele weitere Themen. Durch seine Ausführungen
zieht sich ein unbändiger Optimismus, dass das Ende der Menschheit
abwendbar ist. Entscheiden ist der Umstand, inwiefern die Menschen informiert
werden können und sich organisieren, um das Ende abzuwenden. Im
fünften Kapitel spricht Noam Chomsky über eine dritte Gefahr
für den Fortbestand der Menschheit. Aus seiner Sicht ist die Aushöhlung
der Demokratie eine sehr große Gefahr. Das Kapitel beruht auf
einem Vortrag von Chomsky im April 2019 in Boston. Vor einem vollen
Saal sprach er damals zum Thema „Internationalismus oder Untergang“.
Darin legt er dar, wie die Demokratie durch „die Interessen der
fossilen Brennstoffindustrie, der Großkonzerne und die Kräfte
des Nationalismus“ immer weiter ausgehöhlt wird. Dieses Kapitel
verbindet die beiden großen Themen dieses Buches, den Klimawandel
und Gefahr einer atomaren Auslöschung der Menschheit geschickt
mit der realen politischen Lage.
Die
U.S.A., von vielen Wissenschaftlern schon längst als Oligarchie
identifiziert, in welcher das Kapital die Politik bestimmt, sind im
Würgegriff von Großkonzernen und populistischen Kräften,
die sich gewisser Ideologien bedienen, um ihre ganz eigenen Interessen
durchzusetzen. Nach dem Zeitalter der Ideologien, dem 20. Jahrhundert,
ist das 21. Jahrhundert geprägt von Populisten, die Ideologie und
deren Versatzstücke für ihre Zwecke nutzen. Ist die Demokratie
ein Auslaufmodell? Ein Blick in die VR China zeigt, dass wirtschaftliche
Erfolg nicht zwangsläufig mit einer Demokratisierung der Gesellschaft
zusammenhängen muss. Im sechsten Kapitel setzt sich der Autor schließlich
mit der Frage auseinander, was nach Trump kommt. Das Kapitel besteht
aus einem Interview von Michael Schiffmann mit Noam Chomsky vom 16.
Dezember 2020. Dabei dämpft der Autor bewusst jene Euphorie, die
große Teile der Medien befallen hat, wenn es um Joe Biden geht
„Nun, es wird genügend Dinge geben, bei denen Biden schwach
aussieht und die man dann den Demokraten in die Schuhe schieben kann,
und dann könnten die Republikaner 2022 und 2024 in einer gewaltigen
Welle zurückkommen.“ Für Chomsky ist die Feststellung
elementar, dass die Probleme unserer Zeit alle international sind und
keine Grenzen kennen. Die Erderwärmung und ein Nuklearkrieg machen
nicht an den nationalen Grenzen Halt. Ebenso ist für ihn die Zerstörung
der Demokratie ein Problem, dass „einen ansteckenden Charakter
hat.
Dieses
Buch ist ein wichtiger Diskussionsbeitrag, intelligent und geistreich
formuliert und intellektuell herausfordernd. Eine breite gesellschaftliche
Diskussion über den Klimawandel und dessen Auswirkungen und die
drohende nukleare Auslöschung der Menschheit sind dringend notwendig
und alternativlos. Die Menschheit steht an einem Scheideweg zwischen
einer goldenen Zukunft und der selbstverschuldeten Auslöschung.
Der menschliche Geist hat so großes Potential – in negativer
wie auch in negativer Hinsicht. Es liegt an jedem einzelnen dieses Potential
abzurufen, um eine bessere und gerechtere Welt zu erschaffen oder aber
in seiner eigenen ideologischen Blase zu verkümmern. Der menschliche
Geist hat große Dinge erdacht und erschaffen. Bloße Gedankenkraft
hat Erkenntnisse über den Ursprung des Seins hervorgebracht, aber
auch die Wasserstoffbombe erschaffen. Seien wir mutig und befreien und
von der Angst, denn Angst ist das beste Mittel der Unterdrückung
der Herrschenden.
Noam Chomsky
- REBELLION ODER UNTERGANG!:
Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation
Westend
Verlags | Taschenbuch: 128 Seiten | 25. Januar 2021
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