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SACHBUCH | 28.04.2021

Warum schweigen die Lämmer?

In seinem Buch „Warum schweigen die Lämmer“ seziert Rainer Mausfeld messerscharf das gegenwärtig vorherrschende politische System. Das brillant verfasste Buch weckt die Sehnsucht nach Veränderung und deckt subtile psychologische Methoden der Beeinflussung und Propaganda auf.

von Melanie Thaler


© Rainer Mausfeld © WeltnetzTV

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Demokratie in einer beispiellosen Weise ausgehöhlt. Demokratie wurde durch die Illusion von Demokratie ersetzt, die freie öffentliche Debatte durch ein Meinungs- und Empörungsmanagement, das Leitideal des mündigen Bürgers durch das des politisch apathischen Konsumenten. Wahlen spielen mittlerweile für grundlegende politische Fragen praktisch keine Rolle mehr. Die wichtigen politischen Fragen werden von politisch-ökonomischen Gruppierungen entschieden, die weder demokratisch legitimiert noch demokratisch rechenschaftspflichtig sind. Die destruktiven ökologischen, sozialen und psychischen Folgen dieser Form der Elitenherrschaft bedrohen immer mehr unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen. Rainer Mausfeld deckt die Systematik dieser Indoktrination auf, zeigt dabei auch ihre historischen Konstanten und macht uns sensibel für die vielfältigen psychologischen Beeinflussungsmethoden…

„Warum schweigen die Lämmer“ von Rainer Mausfeld gehört zu den wichtigsten Büchern der letzten Jahrzehnte. Es sollte Pflichtlektüre an Schulen und Universitäten sein und hat eine enorme intellektuelle Sprengkraft. Dieses Buch informiert, macht betroffen, wütend und nachdenklich. Es eröffnet einen faszinierten Blick auf die „Repräsentative Demokratie“ und beschreibt Fakten, die man so nur selten oder gar nicht wahrgenommen hat. Für die meisten Menschen ist das vorherrschende politische System eine Sache der Selbstverständlichkeit. Es wird nicht kritisch hinterfragt. Schließlich lernt man schon in der Schule, dass die „Repräsentative Demokratie“ ein vernünftiger und effektiver Mittelweg zwischen einer „Partizipatorischen Demokratie“ und einer nicht demokratisch legitimierten Regierungsform. Es erscheint praktisch sinnvoll, dass man mit einem Staatsvolk von über 80 Millionen Menschen keine absolute direkte Demokratie praktizieren kann.

Der Bundestag und die weiteren vom Volk gewählten Parlamente sind dementsprechend Objekte der Praktikabilität. Immer wieder aufkommende Forderungen nach mehr direkter Demokratie, Volksabstimmungen und Volksbegehren, werden von den herrschenden politischen Parteien mit dem Verweis auf die Geschichte verworfen und intellektuell fragwürdig „abgebügelt“. Die „Repräsentative Demokratie“ erscheint als der Weisheit letzter Schluss, wenn es um Demokratie in Deutschland geht. Rainer Mausfeld stellt in seinem Buch die These auf, „dass die Idee einer repräsentativen Demokratie gerade zur Abwehr einer wirklichen Demokratie entstanden ist“. Das mag auf den ersten Blick abenteuerlich erscheinen, aber der Autor begründet diese Hypothese sehr umfangreich und schlüssig. Für ihn geht die „Staatsgewalt“ nicht wie in Artikel 20 Grundgesetz beschrieben vom Volke aus. Sie geht auch nicht on der Bundesregierung oder vom gewählten Parlament, sondern von „neoliberalen“ Interessengruppen des globalen Großkapitals, die sich für ihre Interessen der demokratischen Institutionen bedienen und diese unterwandert und instrumentalisiert haben. Demnach haben wir in Deutschland keine Demokratie, sondern eine Oligarchie, die sich als „Repräsentative Demokratie“ tarnt. Wenn sich der erste Schock über diese Aussagen gelegt hat und man sich mit der Beweisführung des Autors beschäftigt wird sehr schnell klar, dass diese Hypothese sehr schlüssig ist.

Rainer Mausfeld, der bis zu seiner Emeritierung einen Lehrstuhl für „Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung“ an der Universität Kiel bekleidete, ist ein Meister der analytischen und klaren Worte. Seine Beweisführung ist intellektuell anspruchsvoll und glasklar. Es wird klar, dass der Umbruch der Gesellschaft sich in immer schneller werdenden Schritten vollzieht. Doch wie genau funktionieren die gesellschaftlichen Mechanismen, die diesen Umbruch ermöglichen? Wie kann sich eine Oligarchie als „Repräsentative Demokratie“ tarnen und welche Rolle spielen dabei die Medien? Dieses Buch benennt die Techniken, die uns tagtäglich beeinflussen und manipulieren ohne dass wir es mitbekommen. Es sind perfide Techniken aus dem Bereich der Psychologie und der schwarzen Propaganda, die zum Einsatz kommen. Die Menschen werden jeden Tag indoktriniert und können sich dem nur schwer entziehen. Rainer Mausfeld zeigt in diesem Buch auf, dass diese Techniken der Indoktrination eine historische Konstante der Herrschaft darstellen und im Verlauf der Zeit immer mehr perfektioniert wurden.

Dies wird mit ausführlichen Beispielen belegt. Man kann nur ahnen, wie viel Zeit der Autor für das sehr umfangreiche Quellenstudium aufgewendet hat. Das Buch, ist wie schon erwähnt, sehr leserfreundlich verfasst. Neben dem Fließtext gibt es zahlreiche Erklärungstexte, Abbildungen und Schaubilder. Das Buch schärft den Blick auf das politische System und erweckt den Ruf nach Veränderung. In den letzten Jahren ist der Raum für einen gesellschaftlichen Diskurs immer enger geworden. Jegliche Diskussion jenseits der „Mitte“ gilt als extremistisch und nicht erwünscht. Eine zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft und die damit einhergehende Polarisierung spielt genau den Mächten in die Hand, vor denen der Autor warnt. Bei der Lektüre dieses Buches fühlt man sich an vielen Stellen an die Werke von Noam Chomsky erinnert. Man kann es als Akt der intellektuellen Selbstermächtigung verstehen. Nicht lähmende Depression angesichts der herrschenden Machtverhältnisse darf vorherrschen, sondern eine kreative und vielfältige Diskussion über die Zukunft dieser Gesellschaft. Die Systemfrage war noch nie akut wie heute!


WARUM SCHWEIGEN DIE LÄMMER?

RAINER MAUSFELD | Westend Verlag | Gebundene Ausgabe: 304 Seiten


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