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KULTUR | 23.04.2025

von Laura Sternberg & Richard-Heinrich Tarenz

Die 25. Ausgabe der lit.Cologne unterstrich ihre anhaltende Relevanz für die nationale und internationale Literaturszene. Über fünfzehn Festivaltage hinweg bot die Veranstaltung in Köln ein vielfältiges Programm mit etwa 200 Einzelterminen. Die Resonanz des Publikums manifestierte sich in rund 118.000 Besucherinnen, was die gefestigte Position des Festivals als eines der bedeutendsten in Europa akzentuiert.

Die diesjährige Ausgabe der lit.Cologne, die nunmehr zum 25. Mal ihre Pforten für Literaturbegeisterte öffnete, markiert ein bedeutendes Jubiläum und unterstreicht die anhaltende Relevanz dieses Festivals für die nationale wie internationale Buch- und Literaturszene. An 15 Festivaltagen, vom 15. bis zum 30. März 2025, präsentierte das Festival in der Domstadt ein facettenreiches Programm, das rund 200 Veranstaltungen umfasste und etwa 118.000 Besucherinnen anzog. Diese beeindruckenden Zahlen verdeutlichen die immense Anziehungskraft, die die lit.Cologne nach wie vor ausübt und ihre Position als eines der größten Literaturfestivals Europas festigt.

Die Jubiläumsausgabe bot eine beeindruckende Bandbreite an Formaten und Genres. Neben klassischen Autorenlesungen, die etwa 120 Veranstaltungen ausmachten, fanden zahlreiche Podiumsdiskussionen, literarische Performances und interdisziplinäre Projekte statt. Rund 30 Veranstaltungen widmeten sich explizit dem Kinder- und Jugendbuchbereich, was die Bedeutung der Leseförderung für das Festival unterstreicht. Die Präsentation von über 250 Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland spiegelte die Diversität der aktuellen literarischen Produktion wider und bot dem Publikum ein breites Spektrum an Perspektiven und Stimmen. Am Abschlussabend erhielt Carla Moschner den OffSpring Award, mit dem die lit.COLOGNE und Flossbach von Storch bereits zum fünften Mal junge Schriftsteller:innen zwischen 16 und 26 Jahren auszeichnen und ihnen so einen Einstieg in den Literaturbetrieb bieten. Bereits am 21. März. war Kurt Prödel mit dem lit.COLOGNE-Debütpreis für sein Erstlingswerk „Klapper“ ausgezeichnet worden. Das sog. „Silberschwein“ wird seit 2011 von der RheinEnergie gestiftet und im Rahmen des Festivals verliehen.

Sterben ohne Risiko - THANATOPIA

Im Jahr 2011 antwortete Lady Gaga auf die Interview-Frage „If you could do something dangerous just for once with no risk, what would you do?“ Ohne zu zögern mit „Die“.

Wissen, was nach dem Tod passiert, damit hat sich wohl jeder von uns schon einmal beschäftigt. Aber ist es der Menschheit überhaupt bestimmt, über solch ein Wissen zu verfügen und was wäre, wenn wir tatsächlich ohne Risiko nur mal so zum ausprobieren sterben könnten? Mit diesen und vielen weiteren existenziellen und moralischen Fragen setzt sich Tom Hillenbrand in seinem neuen Thriller „Thanatopia“ auseinander, den er am 18.03.2025 im Rahmen der litCologne auf der Volksbühne am Rudolfplatz präsentierte.

„Thanatopia“ ist der dritte Band aus Hillenbrands Hologrammatica-Reihe, der ein dystopisches Bild unserer Gesellschaft zum Ende des 21. Jahrhunderts zeichnet, in der KI längst nicht mehr nur zum Verfassen unliebsamer E-Mails oder zur Erledigung vergessener Hausaufgaben verwendet wird…

Wien, 2095. Eine Leiche in der Donau ist für Kommissar Landauer eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal sind es gleich zwei, und was schlimmer ist: Die beiden toten Frauen gleichen einander bis aufs letzte Haar. Wieso gibt es die Tote zweimal? Bei seinen Recherchen stößt Landauer auf einen bizarren Hightech-Todeskult: Junge Menschen, die Klone ihrer selbst ermorden, wieder und wieder. Sind diese sogenannten Deather schlichtweg verrückt? Oder hat ihr Wahnsinn Methode? Mit der Zeit verdichten sich die Hinweise, dass die Verstorbenen einem großen Geheimnis auf der Spur waren.


Photo Credit: Hieronymus Rönneper

Bereits in den beiden vorausgehenden Bänden „Hologrammatica“ und „Qube“ brachte Hillenbrand düstere Geschichten aus dem späten 21. Jahrhundert aufs Papier, in denen hochentwickelte künstliche Intelligenzen zentrale Akteure sind, de das gesellschaftliche Leben prägen. Die drei Thriller der Buchreihe spielen alle in derselben dystopischen Welt, die nach einer großen Klimakrise kaum wiederzuerkennen ist, können aber auch unabhängig voneinander gelesen werden, da ihre Handlungsstränge nicht streng miteinander verwoben sind.

Um die Zuschauer direkt zu Beginn in die richtige Atmosphäre zu versetzen, stellte Moderatorin Stefanie Junker den Autor nicht selbst vor, sondern ließ das die künstlichen Intelligenz ChatGPT übernehmen, die inhaltlich fast fehlerfrei in Hillenbrands Karriere und sein Werk einführte. Während der anschließenden knapp 90-minütigen Lesung inklusive ausgiebigem Stage-Talk wurde das Thema KI, wie wir diese benutzen und wie wenig wir eigentlich über die künstlichen Superhirne wissen, ausgiebig diskutiert und es zeigte sich deutlich, das Tom Hillenbrand im Laufe seiner Recherche-Arbeit zu einem wahren KI-Experten geworden ist.

Es wurde deutlich, dass „Thanatopia“ nicht nur gut recherchierten Nervenkitzel liefert, sondern auch eine Menge moralphilosophischen Diskussionsstoff zum Thema künstliche Intelligenz. Tom Hillenbrand gelingt es fantastisch, Philosophie, Science-Fiction und Spannung miteinander zu verbinden. Mich persönlich haben seine dystopischen Zukunftsvisionen noch weit über die Lesung hinaus zum Nachdenken angeregt. Wie viele moralische Grenzen dürfen bei der Nutzung von KI überschritten werden? Ist eine künstliche Intelligenz wirklich nur eine Maschine und was passiert, wenn sie plötzlich eine physische Form erhält? Was hier nach
wissenschaftlichen Gedenkanspielchen klingt, ist unserer heutigen Realität näher, als man denkt…

Mord, Sex und Drogen bei den Drei ??? – Wer ist Justus Jonas?

Wenn ich den Namen Justus Jonas höre, fängt in meinem Kopf sofort das Hörspiel-Intro von „Die Drei ???“ an zu spielen und damit bin ich wahrscheinlich nicht alleine. Woran ich dabei auch denke, sind spannende Fälle, in denen Geister oder mysteriöse Schattengestalten gejagt werden, aber wohl kaum Bier getrunken, Drogen genommen oder gar Menschen ermordet. Diesen gedanklichen Weg haben nun aber Autor Christoph Tauber und Illustrator Marius Pawlitza eingeschlagen und damit so einige Tabubrüche im „Die Drei ???“-Universum begangen.

Am 21.03.2025 stellten die beiden ihre neue Graphic Novel „Justus Jonas: Eine Interpretation“ in der Kulturkirche Köln vor und begeisterten dabei dabei den ausverkauften Saal. Denn während die drei jungen Detektive in den zahlreichen Hörspielen, Büchern und inzwischen sogar Filmen niemals altern, tun ihre Fans das schon und viele, die mit den Drei ??? aufgewachsen sind, sind inzwischen, im Gegensatz zu ihren Kindheitshelden, erwachsen. Warum also sollten nicht auch Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews die Chance bekommen, wilde Jahre als Teenager zu verbringen oder sich eine Karriere außerhalb ihrer Detektei aufzubauen?

Nachdem im Jahr 2020 bereits die Graphic Novel „Rocky Beach: Eine Interpretation“ erschienen ist, erzählt nun „Justus Jonas: Eine Interpretation“, wie der Erste Detektiv der Drei ??? mit 19 Jahren versucht, an seine Karriere als Kinderschauspieler anzuknüpfen. Doch außer Nebenrollen und Fast-Food-Werbung scheint Hollywood ihm nichts zu bieten. Stattdessen wartet im brodelnden Los Angeles der 70er-Jahre etwas ganz anderes auf ihn: ein neuer Fall. Als einsamer Ermittler muss Justus nebenbei herausfinden, wer er sein möchte. Zwischen Mord, Sex und Drogen wird eine ganz neue Seite des Ersten Detektivs offenbart.

In einer etwa 40-minütigen Performance - ja, es war nicht nur eine Lesung, es war eine multimediale Performance - und einem anschließenden Gespräch mit Fragezeichen-Experte Kai Schwind gaben Tauber, der auch Autor einiger regulärer Drei ???-Bücher ist, und Pawlitza einen Einblick in ihr gemeinsames Werk.


Photo Credit: Hieronymus Rönneper

Ich war anfangs etwas skeptisch, wie man denn eine Graphic Novel ohne Verständnisprobleme vorlesen kann. Dieser Umstand wurde aber mithilfe eines Beamers perfekt gelöst und während man auf einer großen Leinwand die einzelnen Comic-Panels bestaunen konnte, erweckten der Autor und der Illustrator mit ihren Stimmen die Charaktere zum Leben. Hinzu kamen spannungsvolle Musik und passende Soundeffekte zu den einzelnen Bildern, wodurch die Lesung schon fast wie ein Zeichentrickfilm wirkte und das Publikum inklusive mir absolut fesselte.

Visuell hebt sich „Justus Jonas: Eine Interpretation“ deutlich vom klassischen Drei ???-Look ab. Der düstere und kontrastreiche Zeichenstil ist stark vom Film-Noir-Genre inspiriert. Die Panels wirken oft wie Standbilder aus alten Detektivfilmen – melancholisch, geheimnisvoll und oft beklemmend. Schwarz-Weiß-Darstellungen mit harten Schatten, flackerndem Neonlicht und Zigarettenrauch schaffen eine Atmosphäre, die perfekt zum schmutzigen Los Angeles der 70er passt. Der Bruch mit dem kindgerechten Erscheinungsbild der klassischen Drei ???-Welt ist dabei ebenso mutig wie gelungen – eine visuelle Einladung, Justus Jonas in einem völlig neuen Licht zu sehen.

Und wer nun schon ganz aufgebracht ist und empört ruft: „Was haben die nur mit Justus Jonas gemacht???“, keine Sorge, die Graphic Novel heißt nicht ohne Grund „Justus Jonas: Eine Interpretation.“ Die Graphic Novels gehören nicht zum Hauptkanon des Drei ???-Universum und sind Gedankenspielereien ganz nach dem Motto „Was wäre, wenn…“

Die Neuinterpretation des Ersten Detektivs fand an diesem Abend großen Anklang und am Ende der rund 90-minütigen Veranstaltung gab es sogar einige standing Ovations.

Kunst und Quanten – Annette Frier, Eva Verena Müller und das Märchen von der Wirklichkeit

„Die Quantenmechanik ist eine physikalische Theorie, mit der die Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten von Zuständen und Vorgängen der Materie beschrieben werden. Im Gegensatz zu den Theorien der klassischen Physik erlaubt sie als Grundlage der Quantenphysik die zutreffende Berechnung physikalischer Eigenschaften von Materie bis zum Größenbereich der Atome herab und weiter darunter.“ Soweit die Theorie, doch was bedeuten diese Worte und welche Relevanz haben sie für unseren Alltag? Es geht dabei um „spukhaftes Verhalten“, um schwer verständliche Dinge, die sich in der Welt der Atome und darunter abspielen. So richtig versteht das niemand und doch hat es enorme Auswirkungen – man denke nur an GPS. Es geht um Wahrscheinlichkeiten und um kontraintuitive Dinge, die unseren Alltagserfahrungen massiv widersprechen.

Am 23.03.25 gingen Eva Verena Müller und ihre gute Freundin Annette Frier diesen Fragen in der beeindruckenden Kulisse der Kölner Flora nach. Das Ergebnis war ein informativer und gelungener Abend für das Publikum. Sie sprachen in unterhaltsamer Art und Weise darüber, warum alles mit allem verbunden ist und lasen dabei Texte von Werner Heisenberg und Niels Bohr. Selten wurden Philosophie und Physik so unterhaltsam präsentiert und dargestellt, was nicht zuletzt an der charmanten und kompetenten Präsenz der beiden Vortragenden lag. Schnell waren im Publikum Vorurteile gegenüber Mathematik und Physik vergessen. Das Publikum wurde an diesem Abend ein integraler Bestandteil des Vortrags/Lesung und feierte Müller und Frier mit großer Innbrunst.


Photo Credit: Hieronymus Rönneper

Dieser Abend wird allen Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben. Gab es neue Erkenntnisse über den Sinn des Lebens? Vielleicht, doch darauf kam es gar nicht so sehr an. Der Abend war ein wilder sprachlicher Parforceritt durch das Leben, die Realität – was immer das auch ist - und die Untiefen der menschlichen Existenz. So hängt am Ende alles mit allem zusammen, so unwahrscheinlich das auch sein mag. Oder ist gerade diese Unwahrscheinlichkeit der Kern der Wahrheit?

Angesichts der omnipräsenten digitalen Medien und der sich wandelnden Rezeptionsgewohnheiten stellt sich unweigerlich die Frage nach der Rolle, die Bücher in unserer Gesellschaft heutzutage noch spielen. Die anhaltend hohen Besucherzahlen der lit.Cologne liefern hierauf eine deutliche Antwort. Bücher bieten nach wie vor einen einzigartigen Raum für Reflexion, Empathie und die Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Sie ermöglichen eine tiefergehende Verbindung zu den Gedanken und Erfahrungen anderer und fördern die Entwicklung von kritischem Denken und sprachlicher Kompetenz. Die lit.Cologne demonstriert eindrücklich, dass das Bedürfnis nach literarischer Teilhabe und der direkten Begegnung mit Autorinnen und Autoren ungebrochen ist. In einer zunehmend fragmentierten und schnelllebigen Welt bieten Literaturfestivals wie die lit.Cologne einen wichtigen Ankerpunkt für kulturelle Identität und intellektuellen Austausch. Sie schaffen Gemeinschaft und ermöglichen es dem Publikum, in die vielfältigen Welten einzutauchen, die Bücher eröffnen.


Photo Credit: KatjaTauber

Die 25. Ausgabe der lit.Cologne hat somit nicht nur ein beeindruckendes Jubiläum gefeiert, sondern auch erneut die vitale Bedeutung von Literatur und Literaturfestivals für unsere Gesellschaft unterstrichen. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne sinkt und digitale Ablenkungen allgegenwärtig sind, beweist die lit.Cologne, dass das Buch als Medium weiterhin eine unverzichtbare Rolle im kulturellen Leben spielt und einen wertvollen Beitrag zur individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung leistet. Die anhaltende Resonanz des Publikums und die hohe Qualität des Programms lassen optimistisch in die Zukunft dieses bedeutenden Literaturfestivals blicken.

Die 26. lit.COLOGNE findet vom 10. bis 22. März 2026 in der Domstadt statt.


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