Reinhard
Mey veröffentlicht sein 28. Studioalbum mit dem klangvollen Namen
„Das Haus an der Ampel“. Dabei schafft er einen Spagat
zwischen melancholischen Balladen, nostalgischen Betrachtungen über
Vergänglichkeit und witzigen Geschichten aus dem Alltag.
Nachdem
Reinhard Mey zuletzt mit „Mr Lee“ im Jahr 2016 sein letztes
Album veröffentlichte, folgt nun ein weiteres, das den alten
Liedern und Alben in nichts nachsteht. Es beinhaltet fünfzehn
Lieder, die viele seiner typischen Elemente verwenden wie Sprachwitz,
aber auch poetische Texte und eine gute Portion Humor. Daneben enthält
das Album auch einen Bonustrack, den er im Duett mit seiner Tochter
Victoria-Louise singt. Nachdem „Scarlett Ribbons“ im Jahr
1949 zum ersten Mal aufgenommen wurde, haben bereits viele bekannte
Musiker wie etwas Sinéad O'Connor, Joan Baez oder Harry Bellafonte
ihre eigenen Versionen gesungen. Und nun eben auch die Meys. Es ergibt
sich ein Kontrast zwischen Victoria-Louises klarer Stimme und dem
warmen Gesang von Reinhard Mey, die sich wunderbar ergänzen.
Durch diese Interpretation kann man der Nähe nachspüren,
die Vater und Tochter verbindet. Und so ist es sicherlich auch kein
Zufall, dass es im Text des Liedes um folgenden Inhalt geht: Der Vater
möchte seiner Tochter den sehnlichen Wunsch nach roten Bändern
als Haarschmuck erfüllen, aber alle Geschäfte sind bereits
geschlossen und so ist es ihm nicht möglich. Am Ende wandelt
es sich durch einen Hauch von Magie doch noch zum Guten.
Im
„Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten“ bietet uns Reinhard
Mey die Möglichkeit in eine längst vergangene Zeit zu entfliehen.
Die Stunden scheinen dort anders zu vergehen. Obwohl das Hotel lange
chic war und das Leben in den Sälen pulsierte, schlendert man
in dieser Zeitreise durch ein Gebäude von dem man den Eindruck
hat, alles wäre unter einer dicken Schicht Staub begraben. Es
ist eben doch nicht jeder Ruhm und Erfolg, jedes Lied und nicht mal
das Andenken für immer. Im zweiten Lied „An meinen Bleistift“
denkt er an die viele Momente zurück, in denen er mit diesem
seine Lieder zu Papier gebracht hat. Den „Vater und das Kind“
sieht er bereits am Eingang der Halle in der er selber auftreten wird.
Es ist ein zärtliches Lied über die Liebe von Eltern und
zu ihren Kindern, wie man manchmal die Zerbrechlichkeit des Kindes
besonders liebt. Es ist eine Ode an die Familie, obwohl er nur eine
Beobachtung besingt, die er während eines Konzertes macht. „In
Wien“ steht Reinhard Mey am Fenster seines Hotels am Anfang
seiner Karriere. Die Erinnerung ist so lebendig, dass man den Duft
der frischen Bettwäsche und den Geruch der Dielen der Bühne
riechen kann. Die Zuneigung zur Stadt und den Freunden aus Wien durchdringt
jede Zeile und jeden Ton. „Häng dein Herz nicht an einen
Hund“ ist dann doch ein irritierendes Lied, denn er wird loyal
und treu zu dir stehen, egal welchen Mist du machst, doch am Ende
wird man mit einem gebrochenen Herz zurückbleiben, wenn er vor
dir von der Erde scheiden. Also ist er wohl dann doch der beste Freund
des Menschen.
In
„Wir haben jedem Kind ein Haus gegeben“ erzählt der
Liedermacher von den Dingen, die er seinen Kindern mitgeben wollte:
Sowohl die Freiheit die eigenen Abenteuer zu erleben, aber auch die
Sicherheit, dass man immer wieder nach Hause kommen kann. Aber auch
Vertrauen, Phantasie, Fleiß, Lebensfreude, Frieden und Musik.
So verpackt er auf eine sehr poetische Art und Weise den Wunsch, dass
etwas bleibt, eine Einstellung und ein starker Charakter, der auch
den Enkeln und nachfolgenden Generationen mitgegeben wird. Und schließlich
fragt er sich: „Was will ich noch mehr?“ Eine schwierige
Frage, die zu beantworten sicherlich nicht nur Reinhard Mey Schwierigkeiten
hätte. Wenn man jeden Tag mit Zufriedenheit aufsteht, dann kann
es vielleicht nur noch der Hunger nach neuen Erlebnissen sein. Oder
vielleicht nach einem Ende mit Witz und Charme? Auf jeden Fall sollte
man dieses Lied mit einer Portion Humor anhören.
„Das Haus an der Ampel“ ist ein
langsames Album, eines in dem die leisen Töne und die Dankbarkeit
den Witz überstrahlen. In manchen Zeilen könnte man fast
den Eindruck gewinnen, dass es sich um einen Schwanengesang handelt,
als müsse jedem Gefährten und jeder Gefährtin noch
ein Denkmal gesetzt werden, ein Dank entgegengebracht werden und ein
warmes Wort gesprochen werden. Egal ob es da um die Orte der Kindheit
(„Das Haus an der Ampel“), die Freunde, die bereits den
Weg so lange mitgegangen sind („Glück ist, wenn du Freunde
hast“) oder die Kinder, die durch Werte zu Erwachsenen Werten
(„Wir haben jedem Kind ein Haus gegeben“).
Alle Lieder des Albums sind in zwei Versionen
zu hören. Die erste CD, die dem Album auch den Namen beschert
hat, enthält die sechzehn Songs begleitet von einem musikalischen
Ensemble. Das „Skizzenbuch“ hingegen versetzt einen fast
in ein einsames Konzerthaus. Denn Reinhard Mey spielt und singt unplugged,
sozusagen „ein Stück Musik von Hand gemacht“. Man
ist ganz gebannt von der Reinheit der Erzählungen und kann gar
nicht mehr weghören. Dabei ergibt sich auch auf der ersten CD
ein Zauber. Es ist wundervoll, wie Reinhard Mey es schon über
fünfzig Jahre schafft, die Geschichten seiner Erlebnisse, Alltagsbeobachtungen
oder auch einfach den Schalk in poetischen Worten zu beschreiben und
auf eine warme Art und Weise zu intonieren. Auch in diesem Album vereint
er diese Dinge, obwohl man manchmal den Eindruck gewinnen könnte,
dass die Nostalgie von ihm Besitz ergriffen hat. „Das Haus an
der Ampel“ erschien am 29. Mai 2020.