BÜCHER | 17.02.2021

Christoph Maria Herbst
über "1984" und "Farm der Tiere" von George Orwell

Ein Interview im Rahmen der Hörbuchaufnahme

Als Sprecher für die zu Beginn dieses Jahres erschienen George Orwell-Klassiker „1984“ und „Farm der Tiere", die als vollständige Lesungen bei Random House Audio erschienen sind, konnte Christoph Maria Herbst gewonnen werden. In einem Studio-Interview mit dem Verlag äußert er sich unter anderem zum Autor und dessen Werken, sowie zu seiner Arbeit als Hörbuchsprecher.


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Wir wissen, dass Sie viele Anfragen für Hörbücher erhalten. Als Sie die Anfrage bekommen haben, diese Titel als Hörbücher einzulesen, war es eine leichte Entscheidung zuzusagen und wenn ja warum?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Als die Anfrage kam Orwells berühmteste Bücher „1984“ und „Farm der Tiere“ einlesen zu dürfen, war ich ganz aus dem Häuschen, weil es ist schon ein Stück tonangebende und bahnbrechende Weltliteratur. George Orwell ist glaub ich, soweit ich das beurteilen kann, der literarische Dystop schlechthin. Und ich würde lügen, wenn ich nicht auch sagen würde, ich fühlte mich ein bisschen gebauchpinselt, dass der Verlag auf mich gekommen ist, Orwell quasi die Stimme des Jahres 2020 zu geben. Ich musste auch nicht nochmal in die Bücher reinlesen, mir war klar, was da auf mich zukommt. Gerade mit „1984“, das ist schon eine enorme Herausforderung. Gar nicht so sehr für mich als Sprecher, sondern für mich als Mensch. Denn in dem Buch geht’s schon echt ans Eingemachte.

Wie waren Ihre ersten Begegnungen mit George Orwell: War es Klassenlektüre oder eine Empfehlung aus Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Meine erste Begegnung mit Orwell war gar nicht literarischer Natur, sondern filmischer Natur. Den Film von 1984, da ist ja lustigerweise auch die Verfilmung seines Romans „1984“ erschienen, die war mir noch sehr präsent. Die sehr eindringliche Performance von John Hurt und auch Richard Burton, als O’Brien. Der Animations-, beziehungsweise damals nannte man es glaub ich noch Zeichentrickfilm „Farm der Tiere“ ist mir auch noch sehr bekannt. Also ich gehöre mehr so zur Fernseh- und Kinogeneration, als zur „Bücher-Les-Generation“, aber wie dem auch sei, haben diese Filme Spuren bei mir hinterlassen und es war für mich ein Geschenk, mich jetzt seinem Werk auch nochmal in Buchform annähern zu dürfen. Ich habe die Bücher immer nur quergelesen, aber nie ganz, schon gar nicht so konzentriert, wie man sie dann lesen muss, wenn man sie einliest. Zu dem Zweck liest man sie dann ja öfter als nur einmal, damit man dann auch mit gemachten Hausaufgaben ins Tonstudio geht. Und das war dann ein doppeltes Geschenk, es einlesen zu dürfen und sich aber eben auf dem Weg dann auch mit seinem Werk umso intensiver beschäftigen zu müssen.

Sehen Sie in den Werken aktuelle Bezüge zu unserer Gegenwart? Wenn ja, welche?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Also gerade bei „1984“, da ist es schon fast erschreckend mit welch visionärer Kraft Orwell das geschrieben hat. Ich mein das ist jetzt über 70 Jahre her als er sein Buch schrieb und zu dem Zeitpunkt konnte er zum Beispiel noch nicht an das heutige China denken, aber das immer gläserner-Werden des Menschen in der heutigen Zeit ist schon evident. Und klar haben wir das in unseren westlichen Demokratien auch ein Stück weit selbst in der Hand, wie gläsern wir sein wollen, aber wir erleben hier schon auch die, wie soll ich sagen, Schizophrenie, dass sich teilweise Menschen über immer-gläserner-Werden aufregen, gleichzeitig sich dann aber in sozialen Netzwerken tummeln und selbst dafür sorgen, dass man geradezu privateste Einblicke in ihr Leben erhält. Also da muss man dann glaub ich selber für sich gucken, wo man die richtigen Häkchen setzt und man kann nicht auf der einen Seite sagen „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“. So ansonsten hat es mit den totalitären und autokratischen Systemen, auf die wir ja auch mittlerweile in Europa zunehmend gucken können, gucken müssen eine Menge zu tun.

Und ein wichtiger Bereich in Orwells „1984“ ist ja beispielsweise auch nicht nur der Umgang mit Menschen, sondern das Eindringen in die Gedanken der Menschen und in das Bewusstsein der Menschen und das vor allem über Sprache. Der Begriff „Neusprech“ wurde von ihm geprägt, der Begriff „Doppeldenk“ und so weiter wurde von ihm geprägt. Das ist etwas, das ich schon auch meine beobachten zu können, wie sich Sprache verändert in unserer Gesellschaft. Klar das hängt auch zusammen mit Smartphones, und Handys, sich Kurzfassen, vielleicht gar nicht mehr sprechen, sondern Emojis verschicken. Inwieweit sich auch, könnte ich mir zumindest vorstellen, da müsste man sicherlich mal Kognitionswissenschaftler fragen, die Verknappung von Sprache, das Neigen zu Akronymen, inwieweit sich das mittel- und langfristig tatsächlich auch auf Hirnleistung und Denkvermögen auswirkt. Da schwant mir schon Schlimmes. Und auch das halte ich für sehr visionär bei George Orwell und bei ihm selbst kommt das ja aus der Zeit in der er fürs britische Militär gearbeitet hat in Burma, hab ich zumindest recherchiert, und da gab ihm das schon sehr zu denken, wie man dort mit Sprache umging und was es dort mit seinem Bewusstsein anstellte. Insofern schöpfte Orwell aus seinen eigenen Erfahrungen, als er seinen Roman schrieb und wir stellen fest, dass es mit unseren eigenen Erfahrungen schon sehr viel gemein hat und das nenne ich dann wirklich große Kunst und große visionäre Kraft.

Haben Sie eine Lieblingspassage in „1984“ und in „Farm der Tiere“? Wenn ja, welche?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Für mich als den Einleser des Buches „1984“ von George Orwell gibt es sicher einige Lieblingspassagen, einfach was das Performen und die Dramaturgie des Textes anbelangt. Zu den Höhepunkten gehörten für mich sicherlich die Gespräche und auch gerade die ersten Begegnungen zwischen O’Brien und Winston Smith. Einmal natürlich dem Umstand geschuldet, dass ich so ein bisschen John Hurt und Richard Burton beim Einlesen vor meinem geistigen Auge hatte, aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Orwell mit einer messerscharfen Dramaturgie und Präsenz die beiden aufeinanderhetzt, das ist schon toll. Ja es hat mir besonderen Spaß gemacht eigentlich in diese Dialoge dann auch zu gehen, weil das Buch, da wollen wir uns nichts vormachen, kommt ja zumindest in Teilen doch eher sehr, sehr episch und sehr wortreich daher. Da tut natürlich seinem Buch jeder Dialog irgendwie gut, weil es für Dynamik sorgt und diese Dynamik hab ich dann in meiner Performance für das Hörbuch versucht besonders herzustellen, damit das Ganze dann nicht zu didaktisch, zu pädagogisch wird.

Haben Sie als Sprecher beim Einlesen ein konkretes Publikum vor Augen? Diejenigen, die Orwell vor Jahrzenten gelesen haben oder auch/eher ein jüngeres Publikum?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Grundsätzlich beim Büchereinlesen, Bücher zu Hörbüchern machen, hab ich kein konkretes Publikum vor meinem geistigen Auge, kann ich nicht sagen. Der Erste dem ich das erstmal vorlese, bin immer ich selbst. Ja ich muss mir bei dem was ich da grade vorlese selber zuhören, ich muss mir selbst glauben, wenn ich lese. Ich muss es selbst nachvollziehbar finden können, was ich da grade… Es sind ja auch Bandwurmsätze bei, auch bei Orwell sind Bandwurmsätze bei, die gehen über viele Zeilen und ich muss mir folgen können, wenn ich spreche. (lacht) Und ich darf nicht schneller sprechen als ich denke und da hilft mir auch kein vorgestelltes, fiktives Publikum. Sicherlich kann ich hier im Tonstudio durch die Scheibe gucken, sehe meinen Regisseur und den Kollegen vom Ton und wenn ich da dann feststellen würde, dass sich da Köpfe langsam nach vorne neigen oder schon so ein Speichelfluss erkennbar ist in den Mundwinkeln, ja dann wär es eigentlich schon zu spät.

Insofern erzähl ich es eigentlich immer meiner eigenen inneren Lenor-Frau, die so aus mir raustritt, die so an meiner Seite steht. So die innere Maria. Deshalb ist es gut, dass ich einen Doppelnamen habe.

Worin unterscheidet sich die Vorbereitung für das Einsprechen eines Hörbuchs von den Vorbereitungen einer Rolle für einen Film oder im Theater?

CHRISTOPH MARIA HERBST: Der Unterschied zwischen Film und Hörbuch oder der Vorbereitung auf eine Rolle im Film und das Einlesen eines Buches, die Unterschiede sind schon sehr groß. Die Verantwortung die ich habe, wenn ich ein Buch einlese ist viel, viel größer. Bei einem Buch bin ich nicht nur, im Sinne von ausschließlich, für eine Rolle, für eine Figur verantwortlich, sondern für ein ganzes Ensemble. Und nicht nur das, ich bin auch noch die Stimme des Erzählers. Das Maß an Verantwortung ist größer, das sag ich jetzt mal ganz wertfrei und wenn ich werten sollte, würd ich sagen, das ist ein Geschenk, weil dadurch der Gestaltungsspielraum ja auch noch größer wird. Also ich darf noch mehr machen. Ich darf noch kreativer sein, ich darf … ja das ist ein großes Geschenk.

Und mein Hautarzt freut sich natürlich, weil ich beim Hörbucheinlesen nicht geschminkte werden muss. Da kann die Haut mal so richtig durchatmen.


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