Wir
wissen, dass Sie viele Anfragen für Hörbücher erhalten.
Als Sie die Anfrage bekommen haben, diese Titel als Hörbücher
einzulesen, war es eine leichte Entscheidung zuzusagen und wenn ja
warum?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Als die Anfrage kam Orwells berühmteste
Bücher „1984“ und „Farm der Tiere“ einlesen
zu dürfen, war ich ganz aus dem Häuschen, weil es ist schon
ein Stück tonangebende und bahnbrechende Weltliteratur. George
Orwell ist glaub ich, soweit ich das beurteilen kann, der literarische
Dystop schlechthin. Und ich würde lügen, wenn ich nicht
auch sagen würde, ich fühlte mich ein bisschen gebauchpinselt,
dass der Verlag auf mich gekommen ist, Orwell quasi die Stimme des
Jahres 2020 zu geben. Ich musste auch nicht nochmal in die Bücher
reinlesen, mir war klar, was da auf mich zukommt. Gerade mit „1984“,
das ist schon eine enorme Herausforderung. Gar nicht so sehr für
mich als Sprecher, sondern für mich als Mensch. Denn in dem Buch
geht’s schon echt ans Eingemachte.
Wie
waren Ihre ersten Begegnungen mit George Orwell: War es Klassenlektüre
oder eine Empfehlung aus Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Meine erste Begegnung mit Orwell war gar nicht
literarischer Natur, sondern filmischer Natur. Den Film von 1984,
da ist ja lustigerweise auch die Verfilmung seines Romans „1984“
erschienen, die war mir noch sehr präsent. Die sehr eindringliche
Performance von John Hurt und auch Richard Burton, als O’Brien.
Der Animations-, beziehungsweise damals nannte man es glaub ich noch
Zeichentrickfilm „Farm der Tiere“ ist mir auch noch sehr
bekannt. Also ich gehöre mehr so zur Fernseh- und Kinogeneration,
als zur „Bücher-Les-Generation“, aber wie dem auch
sei, haben diese Filme Spuren bei mir hinterlassen und es war für
mich ein Geschenk, mich jetzt seinem Werk auch nochmal in Buchform
annähern zu dürfen. Ich habe die Bücher immer nur quergelesen,
aber nie ganz, schon gar nicht so konzentriert, wie man sie dann lesen
muss, wenn man sie einliest. Zu dem Zweck liest man sie dann ja öfter
als nur einmal, damit man dann auch mit gemachten Hausaufgaben ins
Tonstudio geht. Und das war dann ein doppeltes Geschenk, es einlesen
zu dürfen und sich aber eben auf dem Weg dann auch mit seinem
Werk umso intensiver beschäftigen zu müssen.
Sehen
Sie in den Werken aktuelle Bezüge zu unserer Gegenwart? Wenn
ja, welche?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Also gerade bei „1984“, da ist
es schon fast erschreckend mit welch visionärer Kraft Orwell
das geschrieben hat. Ich mein das ist jetzt über 70 Jahre her
als er sein Buch schrieb und zu dem Zeitpunkt konnte er zum Beispiel
noch nicht an das heutige China denken, aber das immer gläserner-Werden
des Menschen in der heutigen Zeit ist schon evident. Und klar haben
wir das in unseren westlichen Demokratien auch ein Stück weit
selbst in der Hand, wie gläsern wir sein wollen, aber wir erleben
hier schon auch die, wie soll ich sagen, Schizophrenie, dass sich
teilweise Menschen über immer-gläserner-Werden aufregen,
gleichzeitig sich dann aber in sozialen Netzwerken tummeln und selbst
dafür sorgen, dass man geradezu privateste Einblicke in ihr Leben
erhält. Also da muss man dann glaub ich selber für sich
gucken, wo man die richtigen Häkchen setzt und man kann nicht
auf der einen Seite sagen „Wasch mich, aber mach mich nicht
nass“. So ansonsten hat es mit den totalitären und autokratischen
Systemen, auf die wir ja auch mittlerweile in Europa zunehmend gucken
können, gucken müssen eine Menge zu tun.
Und
ein wichtiger Bereich in Orwells „1984“ ist ja beispielsweise
auch nicht nur der Umgang mit Menschen, sondern das Eindringen in
die Gedanken der Menschen und in das Bewusstsein der Menschen und
das vor allem über Sprache. Der Begriff „Neusprech“
wurde von ihm geprägt, der Begriff „Doppeldenk“ und
so weiter wurde von ihm geprägt. Das ist etwas, das ich schon
auch meine beobachten zu können, wie sich Sprache verändert
in unserer Gesellschaft. Klar das hängt auch zusammen mit Smartphones,
und Handys, sich Kurzfassen, vielleicht gar nicht mehr sprechen, sondern
Emojis verschicken. Inwieweit sich auch, könnte ich mir zumindest
vorstellen, da müsste man sicherlich mal Kognitionswissenschaftler
fragen, die Verknappung von Sprache, das Neigen zu Akronymen, inwieweit
sich das mittel- und langfristig tatsächlich auch auf Hirnleistung
und Denkvermögen auswirkt. Da schwant mir schon Schlimmes. Und
auch das halte ich für sehr visionär bei George Orwell und
bei ihm selbst kommt das ja aus der Zeit in der er fürs britische
Militär gearbeitet hat in Burma, hab ich zumindest recherchiert,
und da gab ihm das schon sehr zu denken, wie man dort mit Sprache
umging und was es dort mit seinem Bewusstsein anstellte. Insofern
schöpfte Orwell aus seinen eigenen Erfahrungen, als er seinen
Roman schrieb und wir stellen fest, dass es mit unseren eigenen Erfahrungen
schon sehr viel gemein hat und das nenne ich dann wirklich große
Kunst und große visionäre Kraft.
Haben
Sie eine Lieblingspassage in „1984“ und in „Farm
der Tiere“? Wenn ja, welche?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Für mich als den Einleser des Buches „1984“
von George Orwell gibt es sicher einige Lieblingspassagen, einfach
was das Performen und die Dramaturgie des Textes anbelangt. Zu den
Höhepunkten gehörten für mich sicherlich die Gespräche
und auch gerade die ersten Begegnungen zwischen O’Brien und
Winston Smith. Einmal natürlich dem Umstand geschuldet, dass
ich so ein bisschen John Hurt und Richard Burton beim Einlesen vor
meinem geistigen Auge hatte, aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass Orwell mit einer messerscharfen Dramaturgie und Präsenz
die beiden aufeinanderhetzt, das ist schon toll. Ja es hat mir besonderen
Spaß gemacht eigentlich in diese Dialoge dann auch zu gehen,
weil das Buch, da wollen wir uns nichts vormachen, kommt ja zumindest
in Teilen doch eher sehr, sehr episch und sehr wortreich daher. Da
tut natürlich seinem Buch jeder Dialog irgendwie gut, weil es
für Dynamik sorgt und diese Dynamik hab ich dann in meiner Performance
für das Hörbuch versucht besonders herzustellen, damit das
Ganze dann nicht zu didaktisch, zu pädagogisch wird.
Haben
Sie als Sprecher beim Einlesen ein konkretes Publikum vor Augen? Diejenigen,
die Orwell vor Jahrzenten gelesen haben oder auch/eher ein jüngeres
Publikum?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Grundsätzlich beim Büchereinlesen,
Bücher zu Hörbüchern machen, hab ich kein konkretes
Publikum vor meinem geistigen Auge, kann ich nicht sagen. Der Erste
dem ich das erstmal vorlese, bin immer ich selbst. Ja ich muss mir
bei dem was ich da grade vorlese selber zuhören, ich muss mir
selbst glauben, wenn ich lese. Ich muss es selbst nachvollziehbar
finden können, was ich da grade… Es sind ja auch Bandwurmsätze
bei, auch bei Orwell sind Bandwurmsätze bei, die gehen über
viele Zeilen und ich muss mir folgen können, wenn ich spreche.
(lacht) Und ich darf nicht schneller sprechen als ich denke und da
hilft mir auch kein vorgestelltes, fiktives Publikum. Sicherlich kann
ich hier im Tonstudio durch die Scheibe gucken, sehe meinen Regisseur
und den Kollegen vom Ton und wenn ich da dann feststellen würde,
dass sich da Köpfe langsam nach vorne neigen oder schon so ein
Speichelfluss erkennbar ist in den Mundwinkeln, ja dann wär es
eigentlich schon zu spät.
Insofern
erzähl ich es eigentlich immer meiner eigenen inneren Lenor-Frau,
die so aus mir raustritt, die so an meiner Seite steht. So die innere
Maria. Deshalb ist es gut, dass ich einen Doppelnamen habe.
Worin
unterscheidet sich die Vorbereitung für das Einsprechen eines
Hörbuchs von den Vorbereitungen einer Rolle für einen Film
oder im Theater?
CHRISTOPH
MARIA HERBST: Der Unterschied zwischen Film und Hörbuch
oder der Vorbereitung auf eine Rolle im Film und das Einlesen eines
Buches, die Unterschiede sind schon sehr groß. Die Verantwortung
die ich habe, wenn ich ein Buch einlese ist viel, viel größer.
Bei einem Buch bin ich nicht nur, im Sinne von ausschließlich,
für eine Rolle, für eine Figur verantwortlich, sondern für
ein ganzes Ensemble. Und nicht nur das, ich bin auch noch die Stimme
des Erzählers. Das Maß an Verantwortung ist größer,
das sag ich jetzt mal ganz wertfrei und wenn ich werten sollte, würd
ich sagen, das ist ein Geschenk, weil dadurch der Gestaltungsspielraum
ja auch noch größer wird. Also ich darf noch mehr machen.
Ich darf noch kreativer sein, ich darf … ja das ist ein großes
Geschenk.
Und
mein Hautarzt freut sich natürlich, weil ich beim Hörbucheinlesen
nicht geschminkte werden muss. Da kann die Haut mal so richtig durchatmen.