KINO
CRAWL
Zwischen Olympiasieg und blutigen Wunden
Crawl
ist vordergründig ein Survival-Horrorfilm, hat aber noch viel mehr
zu bieten. Er hat interessante leise Töne, die oft zwischen Mikrostudie
einer zerrütteten und entfremdeten Familie und Leistungsbereitschaft
immer wieder an seine Grenzen oder darüber hinaus zu gehen, schwanken.
Trotz reduzierter Geschichte und wenig Dialogen wird eine Stimmung geschaffen,
die zum einen düster-bedrohlich ist und auf der anderen Seite von
Zuversichtlichkeit und dem unerschütterlichen Glauben an sich selber
geprägt wird. Ein interessanter Widerstreit.
In
Florida herrscht Hurricane-Saison und es gibt Warnungen seitens
der Regierung an die Bevölkerung sich dringend in Sicherheit
zu bringen. Dabei geht es aber natürlich nicht um komplett
Florida, betrifft sondern eben nur einige Landstriche. Die Schwimmerin
Hailey bekommt nach dem Training einen Anruf ihrer Schwester, die
den gemeinsamen Vater nicht erreichen kann. Daraufhin fährt
Hailey zum Haus des Vaters, findet dort aber nur den Hund Sugar
vor. Deswegen
entscheidet sie sich trotz Gefahr und Warnungen zum ehemaligen Elternhaus
zu fahren, in welchem die Familie vor der Trennung der Eltern gelebt
hat. Dort findet sie ihren Vater verletzt und bewusstlos im Unterbau
vor. Beide versuchen sich dann gemeinsam vor hungrigen Alligatoren
und schnell ansteigendem Hochwasser zu retten.
Insgesamt
dauert der Film ziemlich genau anderthalb Stunden und schafft es
erstaunlicherweise trotz sehr reduzierter Geschichte einen konstanten
Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Man bekommt ziemlich genau das,
was man erwartet und dennoch hat er auch einige überraschende
Szenen, was nett und erfrischend ist. Nun aber von Anfang an:
Die
Szenerie ist düster und unwirklich, sodass man nicht ganz sicher
ist, ob man als außenstehender Beobachter den Kopf schütteln
soll über den Mut oder die Dummheit sich diesen Naturgewalten
auszusetzen. Schon vor dem Auftauchen der ersten Alligatoren ist
bereits die Ohnmacht der Menschen gegenüber Sturm, Wind und
Wasser zu spüren. Erstaunlich ist im Prinzip nur, dass Hailey
sich todesmutig in Gefahr bringt, obwohl sie und ihr Vater sich
entfremdet haben. Da kommt wohl wieder „Blut ist dicker als
Wasser“ zum Tragen. Ob sie es auch gemacht hätte, wenn
sie gewusst hätte, was auf sie zukommt, ist fraglich. Neben
der Düsternis sind auch die Alligatoren gut gemacht, sie scheinen
tatsächlich lebendige und agierende wilde Tiere zu sein und
keine später animierten Monster.
Im
Haus angekommen findet sie den Vater natürlich (!) im Keller
vor. Es ist dunkel, dreckig und wenn man darüber nachdenkt
auch völlig unlogisch. Warum um Himmels Willen hat man Löcher
in den Außenmauern, wenn man im Hurricane-Gebiet lebt oder
hat offen herumliegende Kabel im Keller, wenn es dort so leicht
und schnell feucht wird? Es zeichnet den Film allerdings aus, dass
er dann ohne große Explosionen auskommt und in seiner bedrohlichen
düsteren Stimmung weitererzählt wird.
Dennoch
ergeben diese offenen Kreuze in der Backsteinwand auch ein interessantes
Bild. Beide kämpfen um ihr Leben mit wilden Tieren, während
im Hintergrund immer wieder das Symbol aufflackert, welches in unserer
Kultur zweifelsfrei als dasjenige des Todes konnotiert ist. Vielleicht
könnte man sogar so weit gehen, dass mit dem Licht, welches
durch die kreuzförmigen Aussparungen in den Keller der leichte
Weg aus der Situation angedeutet werden soll. Ins Licht zu gehen,
also den Tod zu wählen, wäre schließlich einfacher
als sich durch die Dunkelheit ins Leben zu kämpfen.
Ungefähr
die Hälfte des Filmes spielt sich dann in diesem Keller ab,
die beiden müssen einen Weg finden sich retten zu lassen und
nicht von Alligatoren fressen zu lassen. Es ist ein interessanter
Wettkampf mit der Zeit, den tatsächlich beide, die niemals
ans Aufgeben denken, auch aus einer Leistungssportler-Mentalität
heraus immer wieder neu versuchen die Situation zu bewältigen.
Öfter scheint eine einfache Lösung in Form von Helfern,
egal welcher Gesinnung oder Gegenständen am Horizont zu erscheinen,
am Ende jedoch schaffen sie, sich zu retten, nur aufgrund von Mut,
einer gewissen Bereitschaft sich selbst aufzugeben und an sein Limit
zu gehen. Man nimmt den beiden Hauptfiguren ab, was sie darstellen
sollen. Sie sind ängstlich, mutig, unverzagt, liebend, risikobereit,
verbissen, sie sind laut und leise. Allerdings bietet der Film natürlich
aufgrund der Geschichte und den Szenen, die darin sind, keine besonders
große Bandbreite an Emotionen oder Wendungen. Das ist völlig
in Ordnung und die Leistung der Schauspieler ist solide und passend.
Zwischendurch wird immer wieder ihre Vergangenheit
thematisiert, was etwas platt ist, aber dennoch zeigt, wie zugeneigt
sie sich sind, obwohl eine Distanz zwischen ihnen existiert. Tatsächlich
wächst auch die Bereitschaft sich aufeinander zu verlassen,
je länger sie mit den Fluten kämpfen.
Es sind in diesem Film die leisen Töne
und die Dinge, die gar nicht gesagt werden, die ihn interessant
machen, denn die Geschichte ist nicht opulent oder überraschend.
Dennoch hat er Flair und auch eine gute Musikauswahl. Sie ist im
Nachhinein betrachtet unauffällig und unaufdringlich, erzeugt
aber Spannung und eine Atmosphäre der Erwartung. Ob diese Erwartungshaltung
am Ende erfüllt wird, ist schwierig zu sagen. Aber das Ende
des Films hat mich mit einer schönen Zufriedenheit zurückgelassen,
zuletzt hat ihr Teamgeist und ihr Zusammenhalt sie an das Ziel gebracht,
was sie sich gewünscht haben. Und man könnte sich jetzt
vorstellen, dass Hailey noch schnell am gleichen Tag eine Olympia-Medaille
nach Hause trägt.
USA
2019 | Paramount Pictures Germany | Start:
22. August 2019 (FSK 16) R: Alexandre Aja | D:
Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark