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Startseite > Film > Kino | 28.08.2019

KINO
CRAWL
Zwischen Olympiasieg und blutigen Wunden

Crawl ist vordergründig ein Survival-Horrorfilm, hat aber noch viel mehr zu bieten. Er hat interessante leise Töne, die oft zwischen Mikrostudie einer zerrütteten und entfremdeten Familie und Leistungsbereitschaft immer wieder an seine Grenzen oder darüber hinaus zu gehen, schwanken. Trotz reduzierter Geschichte und wenig Dialogen wird eine Stimmung geschaffen, die zum einen düster-bedrohlich ist und auf der anderen Seite von Zuversichtlichkeit und dem unerschütterlichen Glauben an sich selber geprägt wird. Ein interessanter Widerstreit.

von Eve Pohl


© 2019 Paramount Pictures Germany

In Florida herrscht Hurricane-Saison und es gibt Warnungen seitens der Regierung an die Bevölkerung sich dringend in Sicherheit zu bringen. Dabei geht es aber natürlich nicht um komplett Florida, betrifft sondern eben nur einige Landstriche. Die Schwimmerin Hailey bekommt nach dem Training einen Anruf ihrer Schwester, die den gemeinsamen Vater nicht erreichen kann. Daraufhin fährt Hailey zum Haus des Vaters, findet dort aber nur den Hund Sugar vor. Deswegen entscheidet sie sich trotz Gefahr und Warnungen zum ehemaligen Elternhaus zu fahren, in welchem die Familie vor der Trennung der Eltern gelebt hat. Dort findet sie ihren Vater verletzt und bewusstlos im Unterbau vor. Beide versuchen sich dann gemeinsam vor hungrigen Alligatoren und schnell ansteigendem Hochwasser zu retten.

Insgesamt dauert der Film ziemlich genau anderthalb Stunden und schafft es erstaunlicherweise trotz sehr reduzierter Geschichte einen konstanten Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Man bekommt ziemlich genau das, was man erwartet und dennoch hat er auch einige überraschende Szenen, was nett und erfrischend ist. Nun aber von Anfang an:


© 2019 Paramount Pictures Germany

Die Szenerie ist düster und unwirklich, sodass man nicht ganz sicher ist, ob man als außenstehender Beobachter den Kopf schütteln soll über den Mut oder die Dummheit sich diesen Naturgewalten auszusetzen. Schon vor dem Auftauchen der ersten Alligatoren ist bereits die Ohnmacht der Menschen gegenüber Sturm, Wind und Wasser zu spüren. Erstaunlich ist im Prinzip nur, dass Hailey sich todesmutig in Gefahr bringt, obwohl sie und ihr Vater sich entfremdet haben. Da kommt wohl wieder „Blut ist dicker als Wasser“ zum Tragen. Ob sie es auch gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, was auf sie zukommt, ist fraglich. Neben der Düsternis sind auch die Alligatoren gut gemacht, sie scheinen tatsächlich lebendige und agierende wilde Tiere zu sein und keine später animierten Monster.

Im Haus angekommen findet sie den Vater natürlich (!) im Keller vor. Es ist dunkel, dreckig und wenn man darüber nachdenkt auch völlig unlogisch. Warum um Himmels Willen hat man Löcher in den Außenmauern, wenn man im Hurricane-Gebiet lebt oder hat offen herumliegende Kabel im Keller, wenn es dort so leicht und schnell feucht wird? Es zeichnet den Film allerdings aus, dass er dann ohne große Explosionen auskommt und in seiner bedrohlichen düsteren Stimmung weitererzählt wird.

Dennoch ergeben diese offenen Kreuze in der Backsteinwand auch ein interessantes Bild. Beide kämpfen um ihr Leben mit wilden Tieren, während im Hintergrund immer wieder das Symbol aufflackert, welches in unserer Kultur zweifelsfrei als dasjenige des Todes konnotiert ist. Vielleicht könnte man sogar so weit gehen, dass mit dem Licht, welches durch die kreuzförmigen Aussparungen in den Keller der leichte Weg aus der Situation angedeutet werden soll. Ins Licht zu gehen, also den Tod zu wählen, wäre schließlich einfacher als sich durch die Dunkelheit ins Leben zu kämpfen.


© 2019 Paramount Pictures Germany

Ungefähr die Hälfte des Filmes spielt sich dann in diesem Keller ab, die beiden müssen einen Weg finden sich retten zu lassen und nicht von Alligatoren fressen zu lassen. Es ist ein interessanter Wettkampf mit der Zeit, den tatsächlich beide, die niemals ans Aufgeben denken, auch aus einer Leistungssportler-Mentalität heraus immer wieder neu versuchen die Situation zu bewältigen. Öfter scheint eine einfache Lösung in Form von Helfern, egal welcher Gesinnung oder Gegenständen am Horizont zu erscheinen, am Ende jedoch schaffen sie, sich zu retten, nur aufgrund von Mut, einer gewissen Bereitschaft sich selbst aufzugeben und an sein Limit zu gehen. Man nimmt den beiden Hauptfiguren ab, was sie darstellen sollen. Sie sind ängstlich, mutig, unverzagt, liebend, risikobereit, verbissen, sie sind laut und leise. Allerdings bietet der Film natürlich aufgrund der Geschichte und den Szenen, die darin sind, keine besonders große Bandbreite an Emotionen oder Wendungen. Das ist völlig in Ordnung und die Leistung der Schauspieler ist solide und passend.

Zwischendurch wird immer wieder ihre Vergangenheit thematisiert, was etwas platt ist, aber dennoch zeigt, wie zugeneigt sie sich sind, obwohl eine Distanz zwischen ihnen existiert. Tatsächlich wächst auch die Bereitschaft sich aufeinander zu verlassen, je länger sie mit den Fluten kämpfen.

Es sind in diesem Film die leisen Töne und die Dinge, die gar nicht gesagt werden, die ihn interessant machen, denn die Geschichte ist nicht opulent oder überraschend. Dennoch hat er Flair und auch eine gute Musikauswahl. Sie ist im Nachhinein betrachtet unauffällig und unaufdringlich, erzeugt aber Spannung und eine Atmosphäre der Erwartung. Ob diese Erwartungshaltung am Ende erfüllt wird, ist schwierig zu sagen. Aber das Ende des Films hat mich mit einer schönen Zufriedenheit zurückgelassen, zuletzt hat ihr Teamgeist und ihr Zusammenhalt sie an das Ziel gebracht, was sie sich gewünscht haben. Und man könnte sich jetzt vorstellen, dass Hailey noch schnell am gleichen Tag eine Olympia-Medaille nach Hause trägt.


USA 2019 | Paramount Pictures Germany | Start: 22. August 2019 (FSK 16)
R: Alexandre Aja | D: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark


 

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