Ist
ja schon mies, wenn der eigene Job nicht mehr gebraucht wird, die Welt
sich viel schneller dreht als man selbst, die Kinder aus dem Haus sind
und dann auch noch die eigene Frau fremd geht. So ergeht es Victor,
bis er durch ein Geschenk eine besondere Überraschung erleben darf,
die schönste Zeit seines Lebens.
„So
kann es mit den Eltern einfach nicht weitergehen!“, denkt
sich Maxime (Michaël Cohen). Sein Vater Victor (Daniel Auteuil)
wird zunehmend zu einer Nervensäge, die mit sich, der Welt
und dem Alter über Kreuz liegt. Seine Frau Marianne (Fanny
Ardant) ist das genaue Gegenteil. Victors ewige schlechte Laune
wird ihr schließlich zu viel. Sie setzt ihn kurzerhand vor
die Tür. Victor braucht definitiv Hilfe! Und Maxime hat eine
Idee. Sein Freund Antoine (Guillaume Canet) hat eine Firma, „Time
Travellers“, die gut betuchten Kunden ermöglicht, in
einem raffiniert eingerichteten Filmstudio in eine Zeit ihrer Wahl
zu reisen. Victor willigt ein. Er entscheidet sich für das
Jahr 1974, den exakten Tag, an dem er sich in seine Frau Marianne
verliebt hatte. Anfangs skeptisch, lässt er sich immer mehr
in den Bann der Erinnerungen ziehen. Und die Kulisse aus Neonlichtern,
Schlaghosen und Zigarettenrauch wird zu einer Reise, in der die
betörende Schauspielerin Margot (Doria Tillier) die Grenze
zwischen damals und heute verschwimmen lässt…
Wer würde nicht mal gerne mit Napoleon
Bonaparte und seiner Josephine zu Abend essen, Shakespeare beim
Schreiben einer seiner Stücke über die Schulter schauen,
in den Goldenen Zwanzigern in Berlin Charleston tanzen oder beim
legendären Woodstock-Festival dabei sein? Oder eben noch einmal
den Tag erleben, an dem man seine große Liebe kennen gelernt
hat? Genau diese Dienstleistung bietet eine Agentur an, die ein
Schulfreund von Victors Sohn leitet. Er ist besessen davon den Menschen
ein möglichst „echtes“ und in allen Details stimmiges
Erlebnis zu bescheren und ist von seinen Mitarbeitern gefürchtet,
perfekt ist immer noch nicht gut genug für ihn.
So
erschafft Regisseur Nicolas Bedos ein Potpourri an unterschiedlichsten
Figuren, mit vielen unterschiedlichen Grundhaltungen und Charakterzügen,
die alle ihre eigene Geschichte im Herzen tragen. Und das macht
den Film aus, nämlich, dass da ganz viel Herz im Spiel ist,
obwohl sie sich gegenseitig beleidigen („In welche Zeit würdest
du gerne mal zurückreisen, Victor?“ - „In die Steinzeit,
als ich noch Sex mit meiner Frau hatte.“) und die besten Tage
teilweise schon vorbei sind. Trotzdem ist dieser Film so liebevoll
inszeniert, dass man insgeheim hofft, dass die Reise niemals enden
mag, denn irgendwie war früher ja doch alles besser, als die
Zeit noch nicht so dahinschwand, die Weihnachten noch weiß
und das Gras noch grüner war. Man fragt sich allerdings auch,
wie diese Menschen eigentlich jemals eine Familie werden konnten,
da offensichtlich jede Zuneigung füreinander verloren gegangen
ist und die Zeit sie getrennt hat, nicht aufgrund der Jahre die
ins Land gestrichen sind, sondern weil er in der Vergangenheit hängen
geblieben ist und ihr der Fortschritt nicht schnell genug gehen
kann, weil er gemütlich zu Hause ist und sie Karriere als Psychoanalytikerin
macht.
Konstatieren kann man also, Victor (Daniel
Auteuil) und seine Frau Marrianne (Fanny Ardant) sind kein glückliches
Paar mehr, das ist die erste Ebene auf der die Geschichte spielt.
Wunderbar verwirrend wird es, als viele andere Ebenen dazu kommen
und man manchmal gar nicht mehr so genau weiß, ist es nun
Realität oder Fiktion, was ist Spiel und was passiert wirklich.
Denn nachdem Victor von seinem Sohn die Zeitreise im realen für
einen Tag geschenkt bekommt, möchte er gerne ins Jahr 1974
zurückkehren, an den Tag an dem er seine große Liebe
kennen gelernt hat, denn das war die schönste Zeit in seinem
Leben. Und so findet er sich im besten 70er Jahre Outfit in jenem
Café Belle Epoche wieder, wo sie sich das erste Mal trafen,
er in seinen besten Jahren und eine Schauspielerin wie seine Frau
zu dieser Zeit und sie erleben eine wunderbare Zeit.
An dieser Stelle nimmt der Film Fahrt auf und man durchlebt ein
Karussell von Eindrücken: Victor, der sich an alles genau erinnert
und diejenigen Schauspieler korrigiert, die nicht den richtigen
Text kennen, solche die selber in diesem Momente ein Erlebnis haben,
oder vielleicht auch nicht, die junge Marianne, den Inszenator,
wie er den Schauspielern immer wieder Anweisungen gibt oder den
Regen vom Himmel fallen lässt.
Das
Drehbuch ist dabei so klug gemacht, dass man sowohl die Gemüter
der Menschen im Heute, aber auch die Lebensgeschichte von Victor
und Marianne erfährt ohne eine einzige Rückblende nutzen
zu müssen. Es macht einfach Spaß zuzuschauen, denn es
ist wunderbar und charmant inszeniert, sowohl die Inszenierung im
Film, als auch der Film selber. Neben diesem Hauptplot, hat jede
Figur noch eine eigene Geschichte, die nicht zu kurz kommt. Marianne
hat eine Affäre, die sie nicht zufrieden macht und zieht kurzerhand
mit dieser zusammen, nachdem Victor ausgezogen ist, obwohl diese
Beziehung auch nicht das ist, wonach sie sich sehnt. Ihr Sohn leitet
eine erfolgreiche Firma und versucht seit eh und je seinen Vater
zur Mitarbeit zu bewegen, der Intendant Antoine (Guillaume Canet)
lebt in einer On-Off Beziehung mit Margot (Doria Tillier), der Frau,
die die Marianne von 1974 verkörpert und noch viele weitere
Nebenstränge, die aber nicht zu sehr in den Vordergrund rücken,
aber ein stimmiges Gesamtbild zeichnen. Nicht unerwähnt darf
auch bleiben, dass man hier ein wunderbares 70er Jahre Setting präsentiert
bekommt, von der Mode über das Essen, die Schicksale und den
Cannabisteppich kann man sich in jeder Szene an kleinen Details
erfreuen, von denen man sicherlich nicht alle schon beim ersten
Anschauen sehen wird.
Insgesamt ist „Die schönste Zeit
unseres Lebens“ ein wirklich sehenswerter Film mit großen
und kleinen Dramen, dem Schwanken zwischen Realität und Traum,
wobei man nie so genau weiß, an welcher Stelle der Realität
man sich befindet. Das Ende überrascht nicht besonders, aber
das macht gar nichts, denn der Weg zu diesem Ende macht einfach
Spaß. Man sollte diesen Film nicht auslassen, wenn man eigensinnige
Charaktere, ein ausgeklügeltes Drehbuch und viel Detailverliebtheit
mag.
Frankreich
2019 | Constantin Film Verleih | Start:
28. November 2019 (FSK 12) R: Nicolas Bedos | D:
Daniel Auteuil, Guillaume Canet, Doria Tillier