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Startseite > Film > Kino | 11.09.2019

KINO
Gut gegen Nordwind

Gut gegen Nordwind – Keine Böe zu sehen. Kann man sich in jemanden verlieben, von dem man einzig die Art kennt, wie diese Person schreibt? Verliebt man sich in die Idee oder den Geist ohne auch nur eine körperliche Ebene mit zu berücksichtigen?

von Eve Pohl


© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Leo ist Linguist und er küsst wie er schreibt, also kann ja gar nichts schief gehen, oder? Leos (Alexander Fehling) Freundin Marlene (Claudia Eisinger) verlässt ihn für einen anderen Mann. Nach einem letzten Versuch sie zurückzugewinnen, bekommt er von Emma Rothner (Nora Tschirner) eine versehentlich falsch adressierte E-Mail mit Weihnachtsgrüßen. Beide beginnen einen anonymen E-Mailflirt, der immer wieder ihr „echtes“ Leben beeinflusst und verlieben sich über das Schreiben ineinander. Am Ende stellt sich die Frage, ob diese Gefühle einem realen Treffen standhalten können? Denn Emma – oder Emmi – ist verheiratet und lebt mit den beiden Kindern und ihrem Mann zusammen in einem schönen und komfortablen Häuschen in Köln. Leo hat Bindungsängste und versucht krampfhaft nicht so zu sein, ist an der Uni angestellt und hat zu niemanden, nicht einmal zu seiner Schwester oder Familie, eine wirklich enge Bindung. Dieser Film bietet kaum Gefühle.

Das ist seltsam, denn es handelt sich um einen Film, den ich erst einmal als „Komödie“ klassifizieren würde. Trotzdem bleibt es fast immer bei ausdruckslosen Gesichtern. Man sieht kaum jemanden lächeln und der einzige Charakter, der sich nach einer lebendigen Person anfühlt, ist Leos etwas verrückte Schwester. Man fragt sich wirklich, warum man keine Freude, keine Emotionen sieht. Nicht einmal der Tod und die Beerdigung der Mutter Leos hallen irgendwie emotional nach. Vielmehr verharrt die Erzählung immer wieder in etwas kühlen Textnachrichten. Das kann natürlich daran liegen, dass ein Großteil der Dialoge tatsächlich über das Schreiben von E-Mails gehalten wird und dennoch sieht man die Figuren im Alltag und so als echte Menschen, weswegen diese Kühle etwas befremdlich wirkt. In der Szenerie kann man Köln als Stadt mit vielen Höhen und Tiefen sehen.


© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Die Uni, den Hansaring, ein Panorama des Stadtteils Mülheim mit der Kirche am Rhein und der Brücke, die sich im besten 60er Stil über den Rhein spannt. All das lässt selbstverständlich mein Kölner Herz höher schlagen, auch wenn es etwas seltsam ist, wenn Leo das Hauptgebäude der Uni betritt und plötzlich in der Bibliothek steht. Darüber kann ich aber hinwegsehen, da Köln wunderbar in Szene gesetzt wird, wirkt es doch fast wie eine Liebeserklärung an „die nördlichste Stadt Italiens“. Auch Kostüm und Maske sind gut getroffen. Man erkennt, dass die Figuren Stil und Persönlichkeit haben, obwohl sie ansonsten doch eher wie Abziehbilder statt wie echte Menschen wirken. Man muss denjenigen glauben, die sagen, dass der Film recht nah an der Buchvorlage bleibt.

Die Geschichte ist eindimensional und sperrig in Szene gesetzt. Eigentlich hätte man aus diesem Stoff eine wunderbar spritzige Komödie erzählen können, aber es plätschert vor sich hin und stellt nicht die Fragen, die in dieser Situation passend gewesen wären: Ab wann ist Betrug am Partner eigentlich Betrug? Wer definiert was Partnerschaft bedeutet und wie sollte man mit einer Beziehung umgehen? Warum sollte man an einer Beziehung festhalten und wie lange? Was bedeutet Glück? Was ist wichtiger: Familie oder die egoistische Lust am Verliebtsein? All diese Fragen hätte man stellen können, tut es aber nicht. Da wäre etwas mehr Tiefgang wünschenswert gewesen. In den über zwei Stunden, die der Film andauert, wird eine langsam wachsende Liebesgeschichte erzählt und langsam ist hierbei das Stichwort. Viele Szenen scheinen unnötig lang zu sein. Man sieht häufig, wie die beiden Hauptdarsteller am Laptop oder Handy auf Antwort des anderen warten.


© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Insgesamt ist das Licht gedämpft, eine Melancholie legt sich über die Szene, die eigentlich gar nicht nötig wäre, da das, was sie schreiben häufig witzig ist oder eine gewisse Leichtigkeit hat („ich klebe an dir, wie die Seepocke am Arsch des Buckelwals.“, „Ich küsse so wie ich schreibe.“ „Wenn ich dir schreibe, fühle ich mich wie ein Schaumkuss in der Mikrowelle.“). Natürlich ist klar, dass eine E-Mailromanze kompliziert zu erzählen ist, dennoch hätte man es schöner machen können. Die Szene wechselt oft zwischen der im Halbdunkeln liegenden Wohnung von Leo und dem wunderschön eingerichteten Haus (Könnte aus einem Möbelhauskatalog kommen!) von Emma. Dadurch fällt es schwer sich mit den Charakteren zu identifizieren, man verbringt zu wenig Zeit mit beiden, obwohl der Film wirklich sehr lang ist. Es gibt aber in diesem Film auch einige wunderbare Szenen und Highlights, die hier Erwähnung finden sollen: Leos Schwester ist aufgekratzt, chaotisch, wirbelig und bringt ihren Bruder, der distanziert und emotional wenig präsent ist, immer wieder in Situationen, in denen sie Dinge von ihm einfordert. Sie liebt ihn, sie hasst sein Verhalten und trotzdem hilft sie ihm, als er sich lieber auf die „einsame Insel“ mit Emma zurückziehen will, obwohl sie ihn mit ihrer Freundin Klara verkuppeln wollte. Sie bringt den lebendigen Moment und die Kölner Seele in den Film, was den beiden Hauptfiguren fehlt.

Emma hat zwei Kinder im Teenager-Alter, die sie zwar nicht selber zur Welt gebracht hat, denen sie aber trotzdem ernsthaft zugetan und vielleicht sogar näher ist, als ihr Ehemann, welcher der leibliche Vater ist. Nun ja, Teenies haben Probleme, wollen überall dabei sein und müssen Coolness leben, so auch die Tochter, die unbedingt mit ihren Freundinnen zusammen den Urlaub verbringen möchte, anstatt mit der Familie in - den Alpen zu wandern. Eigentlich wäre es die Aufgabe ihres Mannes gewesen dies aus der Welt zu schaffen, es bleibt aber dann doch wieder an ihr hängen. Die Situation illustriert wunderbar, in welcher Zwickmühle sie sich befindet. Auf der einen Seite unglücklich in der Beziehung, auf der anderen Seite gefangen in gesellschaftlichen Erwartungen und dem Komfort und der Zuneigung. Leider gibt es von diesen Momenten zu wenige. Welche Bedeutung hat das Trampolin im Garten? Es ist ein Symbol in diesem Film, eine Mahnung aus der Vergangenheit, da es den Kindern von der toten Mutter geschenkt wurde. Es steht dort, wird nicht benutzt und ist dennoch eine physische Erinnerung oder sogar ein Ärgernis, das abgebaut werden soll. Emma wünscht es sich. Gerade deswegen ist es interessant, dass sie genau dort liegt, als sie aufgrund von Leos Schlussstrich aufgewühlt ist. Das wäre eine wunderbare Szene gewesen um das Spektakel enden zu lassen, anstatt danach die Unterhaltung wieder aufzugreifen und dann noch krampfhaft ein Happy End herbeizuführen.

Am Ende steht ein Film, den man sich anschauen kann, den man aber fast augenblicklich wieder vergisst, denn er hallt nicht nach, er stellt keine Fragen, er ist glatt und dimensionsarm. Er ist wie die Fassade eines wunderbar bemalten Hauses, in dem aber nicht gekocht oder gelacht wird, schön von außen, aber nicht viel dahinter außer zweier Kerzen, die im leichten Luftzug flackern.


Deutschland 2019 | Sony Pictures Germany | Start: 12. September 2019 (FSK 0)
R: Vanessa Jopp | D: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen


Großes Gewinnspiel

Zum Kinostart verlosen wir fünf Soundtracks zum Film

Teilnahme ab 18 Jahre. Einsendeschluss ist der 13.09.2019. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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