Startseite > Gesellschaft > Diskussion | 03.10.2018

DISKUSSION
Friedenskanzler?
Willy Brandt zwischen Krieg und Terror

Der Willy Brandt verliehene Friedensnobelpreis und die mit seiner Ostpolitik verbundene Aura wirken bis heute nach. Der Kniefall in Warschau ist legendär. Die bundesdeutsche Nahostpolitik verlief weniger glücklich.

von Steffie Sallieri


© dtv Verlagsgesellschaft

Hier hat die damalige Bundesregierung schwere Fehler begangen und große Risiken in Kauf genommen. Das wird aufgezeigt auf der Basis erstmals zugänglicher Dokumente. Im Fokus stehen das Olympia-Attentat 1972 auf israelische Sportler in München, die Freipressung der Terroristen im Oktober 1972, der Versuch von Israels Ministerpräsidentin Golda Meir, 1973 den Genossen Willy Brandt für die Friedensvermittlung zu gewinnen, und die Krise zwischen Bonn und Washington während des Yom-Kippur-Krieges 1973, als ein atomarer Weltkrieg drohte.

Kaum ein anderer Politiker hat die deutsche Nachkriegsgeschichte so stark geprägt wie Willy Brandt. Seine Ostpolitik, sein Kniefall an der Gedenktafel des Warschauer Ghettos und der Friedensnobelpreis haben seinen Ruhm begründet und ihn zu einer Art Mythos gemacht. Kritische Betrachtungsweisen auf seine Politik waren zumeist ideologisch begründet und den teilweise erbittert geführten politischen Grabenkämpfen seiner Regierungszeit geschuldet. Doch nun beschäftigt sich der Politikwissenschaftler und Historiker Michael Wolffsohn mit der Friedenspolitik des vierten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland und hinterfragt kritisch dessen Handeln. War Willy Brandt wirklich der Friedenskanzler, für den ihn viele halten? Was ist Mythos, was ist Realität. Aus Sicht des Autors gibt es so einige dunkle Flecken auf der weißen Friedensweste von Willy Brandt.

Es scheint, dass sich Willy Brandt verzettelte auf unzähligen Polit-Baustellen. Wolffsohn zeichnet das Bild eines unentschlossenen zaudernden Politikers, der entgegen landläufiger Meinung, die Tiefe des deutsch-jüdischen Verhältnisses nie in seiner ganzen Bedeutung erkannte und danach handelte. Israel hätte Willy Brandt gerne als Friedens-Vermittler gesehen, doch er wollte sich niemals festlegen und priorisierte stattdessen die Ost(Europa)-Politik. Der Autor beschreibt das Verhältnis von Willy Brandt und weiten Teilen der Sozialdemokraten zum Judentum als ignorant bis kritisch-distanziert. Wirklich überzeugen können dabei die Thesen des Autors nicht wirklich. Zu dünn ist die Quellenlage, zu groß die Spekulation. Doch wo andere Autoren innehalten, geht Wolffsohn einen Schritt weiter. Er spekuliert und zeigt mögliche Deutungsmuster. Dabei neigt er zu einer gewissen Polemik, die sicher nicht jedem Leser gefällt. Dieses Buch ist ein wichtiges Buch, weil es ein bislang eher unbekanntes Kapitel der deutschen Geschichte beleuchtet und zu Diskussionen anregt. Der Autor schreibt in gewohnt flüssiger Manier liefert neue Aspekte und Sichtweisen zum Thema.


Michael Wolffsohn | Friedenskanzler?: Willy Brandt zwischen Krieg und Terror | dtv Verlagsgesellschaft

 

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