Startseite > Gesellschaft > Diskussion | 03.10.2018

DISKUSSION
Was ist mit den Polen los?

Nach erfolgreichem demokratischem Neuaufbau, EU- und Nato-Beitritt ist die positive Stimmung in Polen umgeschlagen. Eine ultrakonservative Regierung verbreitet harsche Töne nach außen wie nach innen, verweigert sich europäischen Vereinbarungen, beschneidet demokratische Grundrechte und setzt rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft.

von Steffie Sallieri


© dtv Verlagsgesellschaft

Proteste und Demonstrationen erschüttern das Land. Diese Entwicklung hat tiefe Wurzeln in der Vergangenheit, die Polen den Verlust der Souveränität und jahrhundertelange Unterdrückung brachte. So stehen ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Fremden und eine diffuse Furcht vor Benachteiligung gegen liberale Offenheit und Freiheitssinn. Die traditionell konservative katholische Kirche hat wieder großen Einfluss. Und weit verbreitet ist das Bedürfnis, alles daran zu setzen, sich ja nicht wieder von den Nachbarn aus Ost oder West unterbuttern zu lassen.

Die Autorin Marta Kijowska ist sehr gut geeignet und qualifiziert, um über dieses schwierige Thema zu schreiben. Die gebürtige Polin, die seit langem im Deutschland lebt, besucht regelmäßig ihre Heimat und kennt sich bestens aus in der wechselhaften Geschichte beider Länder. Obwohl Polen ein direkter Nachbar Deutschlands ist, wissen die Menschen hierzulange nur wenig über dieses Land, obwohl es eine jahrhundertelange Beziehung beider Völker gibt. Was im Westen mit Frankreich gelungen ist, eine Aussöhnung ehemals verfeindeter Nationen, ist auch nach mehr als 25 Jahren nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes mehr Ziel als Realität. Aus diesen Gründen ist dieses Buch ein wichtiger Diskussionsbeitrag und eine interessante Informationsquelle. Das Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl der Polen sind maßgeblich durch die Geschichte bestimmt.

Daher beschäftigen sich die ersten drei Kapitel des Buches genau mit diesen Themen. Ebenso kommt das wechselhafte Verhältnis Polens zu seinen beiden Nachbarn Deutschland und Russland ausführlich zur Sprache. Nur wenn man sich mit der Geschichte Polens beschäftigt, kann man die jetzige politische Lage des Landes verstehen. Daher sollte dieses Buch Pflichtlektüre für alle Zeitgenossen sein, die sich dazu berufen fühlen, vorschnell über die Regierung in Warschau und die Menschen in Polen zu urteilen. Die Autorin versteht es sehr gut, komplexe Sachverhalte in leicht verständlichen Worten zu beschreiben, ohne zu vereinfachen. Beeindruckend ist die große Bandbreite an Themen und die zahlreichen Fakten, die für den normalen Leser weitgehend unbekannt sind und Interesse für Land und Leute wecken. „Was ist mit den Polen los?“ ist ein lesenswertes Buch mit einem Fazit, dass den Leser hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt.


Marta Kijowska | Was ist mit den Polen los?: Porträt einer widersprüchlichen Nation | dtv Verlagsgesellschaft

 

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