Zum
ersten Mal wurde dieses schwierige Thema für eine englischsprachige
Leserschaft aufgegriffen. Nun ist das Buch in deutscher Sprache
in einer meisterhaften Übersetzung von Susanne Höbel erschienen.
Die ersten Worte, die einem nach dem Konsum der mehr als 550 Seiten
einfallen, sind „vielschichtig“ und „komplex“.
Dieses Buch kann man nicht mehr so einfach aus der Hand legen, wenn
man einmal darin versunken ist. Die Ereignisse und die darin agierenden
Personen ziehen den Leser unweigerlich in einen Sog der Faszination,
dem man sich nur schwer entziehen kann. Hinzu kommt, dass das Buch
sich sprachlich auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Sprache dient
nicht nur der Beschreibung, sondern ist zugleich Kunstobjekt. Für
den mit der Thematik nicht vertrauten Leser eröffnet sich eine
völlig neue Welt, voller kultureller Eigenheiten, Vorstellungen
und Wertesystemen, die zu Beginn sehr exotisch und fremd erscheinen
müssen.
Ein
gutes Beispiel dafür ist das Thema „Selbstmord“,
das im Roman an verschiedenen Stellen eine wichtige Rolle spielt.
Aus Sicht der Protagonisten erscheint es zwingend erforderlich und
richtig, dass aufgrund eines als untragbar empfundenen Ehrverlustes
der Freitod die einzige mögliche Option ist und dementsprechend
gewählt wird. Dieses Verhalten erscheint für einen Leser
der westlichen Welt schwer verständlich, doch müssen wir
uns lösen von einem kulturellen und gesellschaftlichen Weltbild,
dass „westliche“ Verhaltensnormen als universell gültig
propagiert. In dieser Hinsicht ist „Ein einfaches Leben“
ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung und einem
besseren Verständnis von fremden Kulturen.
Es
ist die Stärke von Min Jin Lee diese Sichtweisen und unterschiedlichen
kulturellen Wertemodelle verständlich zu machen. Sie zeigt
die enorme Kraft von Traditionen auf Menschen in einer für
sie fremden Umgebung. Es geht dabei auch und gerade um Vorurteile
und Diskriminierung und deren Auswirkungen auf Menschen auf beiden
Seiten. Die Haupt- wie auch die Nebenfiguren sind exzellent gezeichnet
und sehr vielschichtig. Sehr schnell fiebert man mit den Schicksalen
der Personen mit. Ihr Schreibstil ist fern von Pathos und sehr ruhig
und bestimmt. Mit einfachen Worten erweckt die Autorin große
Emotionen beim Leser. Dieses Buch ist unterhaltsam wie auch lehrreich.
Es gehört zu den bisherigen Höhepunkten des literarischen
Jahres 2018.
Min Jin Lee
| Ein einfaches Leben | dtv Verlagsgesellschaft