Im
Hannover der 1920er-Jahre verschwinden Jungs, einer nach dem anderen,
spurlos. Steckt ein bestialischer Massenmörder dahinter? Für
Robert Lahnstein, Ermittler im Fall Haarmann, wird aus den Gerüchten
bald schreckliche Gewissheit: Das Deutschland der Zwischenkriegszeit,
selbst von allen guten Geistern verlassen, hat es mit einem Psychopathen
zu tun. Lahnstein, der alles dafür gäbe, dass der Albtraum
aufhört, weiß bald nicht mehr, was ihm mehr zu schaffen
macht: das Schicksal der Vermissten; das Katz-und-Maus-Spiel mit
dem mutmaßlichen Täter; die dubiosen Machenschaften seiner
Kollegen bei der Polizei; oder eine Gesellschaft, die nicht mehr
daran glaubt, dass die junge Weimarer Republik sie vor dem Verbrechen
schützen kann.
Es
ist nicht leicht einen Roman über einen Kriminalfall zu schreiben,
der zu den Bekanntesten in der deutschen Geschichte zählt und
bei dem weiß, wie es ausgegangen ist. Dennoch wagt sich Dirk
Kurbjuweit nun an das Kunststück die Ermittlungen rund um den
Serienmörder Fritz Haarmann zu schildern. Dabei blickt man
der fiktiven Figur des Ermittlers Robert Lahnstein über die
Schulter. Er ermittelt in der Weimarer Republik, die von politischen
Unruhen, Beschränkungen aufgrund des Versailler Vertrages und
einer undurchsichtigen Situation, in der aufgrund von Weltkriegswirren
und Armut vieles nicht seinen gewohnten Gang geht, geprägt
ist.
Eigentlich
geht es weniger um die Morde selber, sondern mehr um die Geschichte
Lahnsteins und die damalige Situation in der Weimarer Republik.
Bereits schnell wird klar, dass es sich um eine Zeit handelt, in
der Informationen mühsam zusammengesammelt werden müssen
und nicht einfach schnell den jeweiligen Empfänger erreichen.
So kämpft der Ermittler, der selber gequält ist, um jede
Krume und hetzt dabei des Öfteren hinter den Ereignissen her,
anstatt selber der Handelnde zu sein. Das ist deutlich realistischer
als viele Kriminalgeschichten, die sonst geschrieben werden. Ihm
fällt nichts zu, vielmehr geht er vielen Spuren nach, die im
Leeren enden.
Besonders
lesenswert sind die mannigfaltigen Beschreibungen der Zeit und der
Verhältnisse der vom Versailler Vertrag gebeutelten Weimarer
Republik, in der politische Splittergruppen gegeneinander kämpfen
und bittere Armut um sich greift, genau wie eine ganze Generation
von jungen Männern, aber auch Frauen mit den Auswirkungen des
ersten Weltkrieges zurechtkommen müssen. Die einen sind nun
mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert, so zum Beispiel die
Mutter eines der verschwundenen Jungen, die im Krieg in einer Fabrik
arbeitete. Diese Stelle wurde aber nun wieder von einem Mann besetzt
und sie putzt in eben jener Fabrik nun für einen Bruchteil
des ursprünglichen Gehaltes. Aber auch Lahnstein selber war
als Pilot im Krieg und hat mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Der Autor zeichnet diese Gesellschaft sehr packend und bemerkenswert
kleinteilig, sodass man die Straßen Hannovers bildlich vor
sich sieht.
Problematisch
ist in diesem Roman vor allem Eines: Der Schreibstil ist bestenfalls
gewöhnungs-bedürftig. Allzu oft kann man bei den Dialogen,
die im Bewusstseinsstrom formuliert sind, dank der fehlenden Anführungszeichen
weder erkennen, wer spricht noch wann gesprochen wird. Gesprochenes
und die Gedanken des Protagonisten Lahnstein vermischen sich. So
kommt es das ein oder andere Mal vor, dass man eine Seite wieder
und wieder lesen muss, um der Handlung zu folgen. Der Roman wäre
für viele Leserinnen und Leser leichter verständlich und
leserlicher, wenn der Autor ein anderes Stilmittel als den Bewusstseinsstrom
verwendet hätte.
Wenn
man Lust an einem Roman hat, der in eindrucksvoller Weise die Verhältnisse
in der Weimarer Republik in den 20er Jahren beschreibt, wird „Haarmann“
eine Quelle der Freude sein, auch wenn der Stil sperrig und teilweise
nur schwierig zugänglich ist.
Dirk
Kurbjuweit | Haarmann: Ein Kriminalroman | Penguin
Verlag