Startseite > Kultur > Literatur | 18.03.2020

LITERATUR
Haarmann: Ein Kriminalroman

Im Hannover der 1920er-Jahre verschwinden Jungs, einer nach dem anderen, spurlos. Steckt ein bestialischer Massenmörder dahinter? Für Robert Lahnstein, Ermittler im Fall Haarmann, wird aus den Gerüchten bald schreckliche Gewissheit: Das Deutschland der Zwischenkriegszeit, selbst von allen guten Geistern verlassen, hat es mit einem Psychopathen zu tun.

von Eve Pohl


© Penguin Verlag

Im Hannover der 1920er-Jahre verschwinden Jungs, einer nach dem anderen, spurlos. Steckt ein bestialischer Massenmörder dahinter? Für Robert Lahnstein, Ermittler im Fall Haarmann, wird aus den Gerüchten bald schreckliche Gewissheit: Das Deutschland der Zwischenkriegszeit, selbst von allen guten Geistern verlassen, hat es mit einem Psychopathen zu tun. Lahnstein, der alles dafür gäbe, dass der Albtraum aufhört, weiß bald nicht mehr, was ihm mehr zu schaffen macht: das Schicksal der Vermissten; das Katz-und-Maus-Spiel mit dem mutmaßlichen Täter; die dubiosen Machenschaften seiner Kollegen bei der Polizei; oder eine Gesellschaft, die nicht mehr daran glaubt, dass die junge Weimarer Republik sie vor dem Verbrechen schützen kann.

Es ist nicht leicht einen Roman über einen Kriminalfall zu schreiben, der zu den Bekanntesten in der deutschen Geschichte zählt und bei dem weiß, wie es ausgegangen ist. Dennoch wagt sich Dirk Kurbjuweit nun an das Kunststück die Ermittlungen rund um den Serienmörder Fritz Haarmann zu schildern. Dabei blickt man der fiktiven Figur des Ermittlers Robert Lahnstein über die Schulter. Er ermittelt in der Weimarer Republik, die von politischen Unruhen, Beschränkungen aufgrund des Versailler Vertrages und einer undurchsichtigen Situation, in der aufgrund von Weltkriegswirren und Armut vieles nicht seinen gewohnten Gang geht, geprägt ist.

Eigentlich geht es weniger um die Morde selber, sondern mehr um die Geschichte Lahnsteins und die damalige Situation in der Weimarer Republik. Bereits schnell wird klar, dass es sich um eine Zeit handelt, in der Informationen mühsam zusammengesammelt werden müssen und nicht einfach schnell den jeweiligen Empfänger erreichen. So kämpft der Ermittler, der selber gequält ist, um jede Krume und hetzt dabei des Öfteren hinter den Ereignissen her, anstatt selber der Handelnde zu sein. Das ist deutlich realistischer als viele Kriminalgeschichten, die sonst geschrieben werden. Ihm fällt nichts zu, vielmehr geht er vielen Spuren nach, die im Leeren enden.

Besonders lesenswert sind die mannigfaltigen Beschreibungen der Zeit und der Verhältnisse der vom Versailler Vertrag gebeutelten Weimarer Republik, in der politische Splittergruppen gegeneinander kämpfen und bittere Armut um sich greift, genau wie eine ganze Generation von jungen Männern, aber auch Frauen mit den Auswirkungen des ersten Weltkrieges zurechtkommen müssen. Die einen sind nun mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert, so zum Beispiel die Mutter eines der verschwundenen Jungen, die im Krieg in einer Fabrik arbeitete. Diese Stelle wurde aber nun wieder von einem Mann besetzt und sie putzt in eben jener Fabrik nun für einen Bruchteil des ursprünglichen Gehaltes. Aber auch Lahnstein selber war als Pilot im Krieg und hat mit psychischen Problemen zu kämpfen. Der Autor zeichnet diese Gesellschaft sehr packend und bemerkenswert kleinteilig, sodass man die Straßen Hannovers bildlich vor sich sieht.

Problematisch ist in diesem Roman vor allem Eines: Der Schreibstil ist bestenfalls gewöhnungs-bedürftig. Allzu oft kann man bei den Dialogen, die im Bewusstseinsstrom formuliert sind, dank der fehlenden Anführungszeichen weder erkennen, wer spricht noch wann gesprochen wird. Gesprochenes und die Gedanken des Protagonisten Lahnstein vermischen sich. So kommt es das ein oder andere Mal vor, dass man eine Seite wieder und wieder lesen muss, um der Handlung zu folgen. Der Roman wäre für viele Leserinnen und Leser leichter verständlich und leserlicher, wenn der Autor ein anderes Stilmittel als den Bewusstseinsstrom verwendet hätte.

Wenn man Lust an einem Roman hat, der in eindrucksvoller Weise die Verhältnisse in der Weimarer Republik in den 20er Jahren beschreibt, wird „Haarmann“ eine Quelle der Freude sein, auch wenn der Stil sperrig und teilweise nur schwierig zugänglich ist.


Dirk Kurbjuweit | Haarmann: Ein Kriminalroman | Penguin Verlag

 

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